Renditen Die Angst vor Stagflation treibt die Investoren um

Die Zinskurve wird flacher – und es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Entwicklung zu interpretieren.
Frank Wiebe Das Schlagwort an den Märkten lautet wieder „Inflation“. Immer häufiger ist auch von Angst vor „Stagflation“ die Rede, also dem Zusammentreffen von Inflation und schwächelnder Wirtschaft. Aber welche Signale geben die Anleiherenditen, die letztlich die Grundlage für das Geschehen in allen Sektoren der Kapitalmärkte sind?
Mit steigender Inflation steigen normalerweise auch die Zinsen. Das tun sie jetzt auch – aber vor allem bei den kurzen Laufzeiten. Am „langen Ende“, wie es im Jargon der Märkte heißt, bewegen sich die Konditionen weniger.
Das Ergebnis ist, dass die Renditeabstände der verschiedenen Laufzeiten zusammenschmelzen – die Zinskurve wird flacher. In einer Studie von JP Morgan heißt es: „Die Renditen der US-Staatsanleihen sind in der vergangenen Woche gefallen, während zugleich die langfristig erwartete Inflation gestiegen ist.“
Es gibt zwei Deutungen für diese flachere Zinskurve, die vielleicht sogar beide zutreffen. Nach der ersten Deutung bleiben die langfristigen Renditen im Rahmen, weil die Investoren begierig zugreifen, sobald sie nur ein kleines Plus aufleuchten sehen. Das wäre nicht überraschend vor dem Hintergrund, dass die Rally an den Aktienmärkten ihre Kraft verliert und die Anleger deswegen ihr Vermögen nicht zu sehr auf diesen einen Bereich konzentrieren sollten.
Eine zweite Möglichkeit wäre laut Vanguard-Anleihespezialist Kunal Mehta, dass die Anleger wegen der hartnäckig erhöhten Inflation relativ früh eine Zinserhöhung der US-Notenbank erwarten, aber zugleich auf längere Sicht von einer wirtschaftlichen Schwäche ausgehen. Das würde erklären, warum die langfristigen Renditen nicht so recht von der Stelle kommen.
Konjunktur schwächt laut Umfrage in den kommenden zwölf Monaten ab
Für die zweite Version spricht die jüngste Umfrage der Bank of America unter Großanlegern. Danach glaubt eine deutliche Mehrzahl der Befragten, dass sich die weltweite Konjunktur in den kommenden zwölf Monaten abschwächt. Zugleich gilt im Vergleich zu früheren Umfragen jetzt eine erste Zinserhöhung der Fed schon im kommenden Jahr für wahrscheinlich.
Dieses zweite Szenario – höhere Inflation plus wirtschaftliche Schwäche – wäre eine Stagflation. Dabei ist aber nicht klar, dass beides zeitlich zusammentrifft. Es ist durchaus möglich, dass die Notenbanken die Inflation erfolgreich bekämpfen, aber damit zugleich den Anstoß für eine Rezession geben, die erst voll zum Tragen kommt, wenn die Preise wieder unter Kontrolle sind.
Umgekehrt besteht die Gefahr, dass die Notenbanken zu drastisch die Inflation bekämpfen und damit die Konjunktur abwürgen, ohne die Preise unter Kontrolle zu bekommen, weil diese zu sehr von Faktoren wie Lieferengpässen abhängen – die Geldpolitiker nicht beeinflussen können.
Ein Vorteil für zyklische Aktien
Für Anleger ist es nicht leicht, mit dieser Situation zurechtzukommen. Denn nach Auffassung der Analysten von JP Morgan zeigen neue Daten aus den USA und aus China, dass weltweit der Inflationsdruck anhält. Für Aktien bedeute das eine Rotation von Wachstumstiteln und ausgesprochen defensiven Werten hin zu Zyklikern und Value-Aktien, heißt es in einer Studie. Als Zykliker gelten zum Beispiel Autoaktien, die zurzeit allerdings unter dem Mangel an Halbleitern leiden, oder Industriewerte. Value-Aktien sind Titel, die als unterbewertet gelten.
Der Streit über Inflation oder Stagflation hält derweil an. „Die Verwirrung über die Ursachen des Preisanstiegs ist ein Risiko“, heißt es bei Blackrock, dem weltgrößten Vermögensverwalter. Dessen Kapitalmarktstratege Martin Lück stellt heraus: „Besonders wichtig ist aber, dass die EZB trotz des zunehmenden Drucks die Füße stillhält. Zu früh in eine im Erholungsmodus befindliche Wirtschaftsentwicklung hineinzubremsen, weil durch einen exogenen Schock die Angebotspreise steigen, ist schon immer falsch gewesen.“

Inflation: auch an der Tankstelle
Die meisten Ökonomen halten die Inflationsgefahr im Euro-Raum für weitaus geringer als in den USA. Der Unterschied ist vor allem in der aggressiveren Finanzpolitik der Amerikaner begründet. Während in den USA die dort beschlossenen oder noch in der Planung befindlichen Ausgabenpakete wahrscheinlich zu einer Überhitzung der Konjunktur beitragen, ist die Situation in Europa anders. Hier ist die Gefahr geringer, dass die Wirtschaft in der Breite auf zu viel Nachfrage stößt.
Streit unter Ökonomen
In der Diskussion über die Inflation reißen auch wieder Gräben innerhalb der Ökonomenzunft auf. Lange Zeit galt vor allem in Deutschland die Geldmengentheorie als Maßstab. Demnach entsteht Inflation einfach dadurch, dass zu viel Geld von der Notenbank in die Wirtschaft gepumpt wird.
Der US-Ökonom Milton Friedman war ein prominenter Vertreter. Seit Jahrzehnten hat sich aber gezeigt, dass empirisch kein klarer Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen nachzuweisen ist. Die EZB hat die Analyse der Geldmengen daher zuletzt eher nebenher betrieben und bei der Neuformulierung ihrer Strategie sogar als eigenständiges Gebiet aufgegeben. Das Thema Geldmenge wird jetzt in die ökonomische Analyse integriert und dient vor allem zur Identifizierung von Risiken, etwa von Blasenbildungen an den Märkten, die das Finanzsystem gefährden könnten.
Zugleich zeigen die Diskussionen in den USA, dass die Rolle der Regierungen stärker beachtet wird: Viel Geld führt dann zu höheren Preisen, wenn es für Ausgaben genutzt wird, und dabei ist der Staat die größte Adresse.
Jetzt flackert die Diskussion wieder auf. Alan Ruskin, ein Makro-Stratege der Deutschen Bank, beklagt in einer Studie einen „beispiellosen Hangover“. Gemeint ist damit, dass die globale Geldmenge fast ein Viertel oberhalb des Trends aus der Zeit vor der Coronapandemie liegt.
Ruskin kritisiert, dass zurzeit zu einseitig Lieferengpässe für steigende Preise verantwortlich gemacht würden. Er stellt klar: „Angebotsprobleme geschehen nicht in einem Vakuum.“ Ruskin zitiert außerdem Schätzungen, wonach ein Anstieg des Geldvolumens „typischerweise“ nach zwei bis drei Quartalen zu einem höheren Wirtschaftswachstum und nach eineinhalb bis zwei Jahren zu einer höheren Inflation führt.
Mehr: Wie groß ist das Risiko einer Stagflation? Die wichtigsten Fragen und Antworten
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.