New Work Die Homeoffice-Muffel: Warum sich Führungskräfte so gegen das mobile Arbeiten wehren

So mancher Chef beordert seine Mitarbeiter auch im zweiten Lockdown weiter ins Büro – Ansteckungsgefahr hin oder her.
Düsseldorf Nur einmal pro Woche Homeoffice – und das mit sieben Tagen Voranmeldung beim Chef: Das war für einige IT-Mitarbeiter im Edeka-Konzern auch schon vor Corona ziemlich altmodisch.
Als die Pandemie ausbrach, sahen die Spezialisten deshalb ihre Chance für mehr Flexibilität gekommen: Remote-Arbeitsplätze, schnelle Internetverbindungen – so gut wie alles hatten die Fachkräfte in Hamburg vorbereitet, um den Betrieb von der Ferne aus zu sichern.
Doch Vorstandschef Markus Mosa bestand im Lockdown auf Anwesenheit, zumindest für die Zentrale am New-York-Ring. Es wurde ein umfangreiches Schichtmodell eingeführt. Seit Beginn der Pandemie schickt das Unternehmen mehr als die Hälfte der Belegschaft im wöchentlichen Wechsel ins Homeoffice und regelt, wer wann in welchen Raum des Bürogebäudes kommen soll.
Dieses Hin und Her samt Equipment wurde auch den Sommer über beibehalten. Sehr zum Ärger mancher Mitarbeiter, die dahinter eher eine Kontrollabsicht der Vorgesetzten als eine Maßnahme zu ihrem Schutz vermuteten. Und so will die Forderung nach dauerhaftem Homeoffice in Hamburg einfach nicht verstummen.
Ein Konzernsprecher erklärt das Vorgehen der Geschäftsleitung auf Anfrage so: „Wichtige Tätigkeiten in der Zentrale, die die globalen und nationalen Lieferketten aufrechterhalten, erfordern Präsenz im Büro vor Ort.“ Er verweist aber auch darauf, dass „aufgrund der aktuellen Situation die Hygiene- und Abstandsregeln weiter verschärft und die Anwesenheit der Mitarbeiter noch einmal deutlich reduziert wurde“.
„So was wie Homeoffice wäre ja zu modern“
Präsenz vor Ort, weil der Chef es sagt, Frust bei den Kollegen im Büro – der Fall des Einzelhandelskonzerns zeigt, dass es auch in Corona-Zeiten noch immer Führungskräfte gibt, die sich mit dem Thema Homeoffice schwertun.
Zwar ist der Anteil der Homeoffice-Muffel unter den Vorgesetzten während der Pandemie geschrumpft, wie eine Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation unter 500 Führungskräften zeigt.
Danach hat knapp die Hälfte von ihnen ihre Vorbehalte gegen die Arbeit von zu Hause abgebaut, weil sie inzwischen positive Erfahrungen mit dem Experiment Homeoffice gesammelt hätten. Zwölf Prozent halten der Umfrage zufolge aber weiter an ihrer ablehnenden Homeoffice-Haltung fest – und das offenbar hartnäckig.
Auf Europas größter Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu machen derzeit viele Beschäftigte ihrem Frust gegenüber Homeoffice-Muffeln Luft: „Homeoffice gibt es nur im Corona-Lockdown – danach sollten alle besser heute als morgen zurück in die Zentrale,“ schäumt zum Beispiel ein Mitarbeiter des Konsumgüterunternehmens Tchibo. In dem Hamburger Traditionsbetrieb entscheidet der Vorgesetzte darüber, wer mobil arbeiten darf – und wer nicht, wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilt.
„So etwas wie Homeoffice wäre der ZAG ja zu modern“, poltert dagegen ein Angestellter des Personaldienstleisters, in dessen Stammzentrale in Hannover noch Wert auf Präsenz gelegt wird. Von dort heißt es: Die Mitarbeiter könnten vor Ort Corona-konform arbeiten – und verlören so nicht die „soziale Bindung an die Kollegen“.
Zu siebt im Büro
Vor Corona war die Welt vieler Chefs klar: Die meisten Angestellten saßen für Rückfragen und Arbeitsaufträge greifbar in der Nähe. Dass sich so mancher Vorgesetzte nach dieser schönen alten Zeit zurücksehnt, beobachtet auch Teresa Hertwig.
Die Chefin der Unternehmensberatung Getremote begleitet Firmen ins Homeoffice-Zeitalter und kennt die Vorteile der Remote-Arbeit. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ersparte Pendelzeit, effizienteres Arbeiten: Schon jetzt zeige sich, „dass das Thema Homeoffice immer entscheidender beim Recruiting wird“, sagt Hertwig.
Trotzdem meint die Getremote-Chefin: „Die Ewiggestrigen werden weder die Mitarbeiter noch Corona vom Homeoffice überzeugen können.“
Ein Satz, den Annalisa Meier vermutlich so oder so ähnlich sofort unterschreiben würde. Meier, die eigentlich anders heißt, ist Unternehmensberaterin und harrt gerade in häuslicher Quarantäne aus. Der Grund: Mehrere ihrer Teammitglieder haben sich mit Covid-19 infiziert, ihr eigener Test fiel negativ aus.
Mehrfach hatte Meier sich zuvor bei ihren Vorgesetzen beschwert, dass sie zu siebt in einem Büro arbeiten müssen. Die Chefs aber winkten stets ab. Der Kontakt zum Kunden sei aus dem Homeoffice zu zäh, hieß es zur Erklärung.
Druck statt Vertrauen
Doch der Eindruck der jungen Beraterin ist ein anderer: Im ersten Lockdown hatte die Belegschaft nämlich ihre Arbeit komplett von zu Hause verrichtet. Probleme? „Keine“, erinnert sich Meier. „Jetzt, wo die Infektionszahlen wieder so stark nach oben schnellen, sollte ein Arbeitgeber mehr Verantwortung zeigen“ – ein nachvollziehbarer Wunsch.
Doch: Von seiner generellen Anwesenheitspflicht will das Consultingunternehmen wohl trotz der Infektionsfälle in den eigenen Reihen nicht abrücken. Den Mitarbeitern bleibt weiterhin nur übrig, Mundschutz zu tragen, zu desinfizieren, zu lüften – und auf das Beste zu hoffen.
So krass sich solche Fälle lesen, langfristig dürften einige Arbeitgeber die Homeoffice-Uhr zurückdrehen wollen. So hat eine Umfrage des US-Techunternehmens Servicenow unter 900 Führungskräften weltweit ergeben, dass 45 Prozent aller Vorgesetzten nach der Pandemie wieder die alten Arbeitsabläufe etablieren wollen.
In Deutschland hat sich schon im Frühjahr gezeigt, dass nicht überall, wo es möglich gewesen wäre, Chefs ihre Mitarbeiter auch wirklich ins Homeoffice geschickt haben. So hat Kununu während des ersten Lockdowns 33.000 Bewertungen mit Corona-Bezug analysiert und festgestellt, dass rund 20 Prozent der Arbeitnehmer, deren Tätigkeit mobiles Arbeiten erlauben würde, trotz Pandemie weiterhin ins Büro beordert wurden.
Und so eskaliert mitunter in der Krise ein Konflikt, der schon länger schwelt. Wie bei Edeka. Die rigiden Anwesenheitsregelungen bestärken diejenigen, die der Managementriege vorwerfen, das Unternehmen mit Druck statt mit Vertrauen zu führen. „Wer es in einem solch ausgeprägt hierarchischen System an die Spitze gebracht hat, kann gar nicht anders“, vermutet ein Beschäftigter frustriert darüber, dass der Wandel bei Edeka auf sich warten lässt.
Der Konzernsprecher verweist dagegen auf Mitarbeiterbefragungen, laut denen die überwiegende Anzahl der Beschäftigten zufrieden mit dem Führungsverhalten sei.
Klare Kante gegen Homeoffice
Eine solche seit Jahrzehnten etablierte Unternehmenskultur von innen zu verändern fällt schwer. „Ist ja nicht meine Entscheidung“ sei immer wieder zu hören gewesen, als Vorgesetzte im Mittelbau Anweisungen aus der Chefetage an Kollegen weitergereicht hätten.
Verkrustete Strukturen, mangelndes Vertrauen, aber auch unklare rechtliche Rahmenbedingungen: Die Gründe, warum Chefs zögern, ihre Mitarbeiter freimütig ins Homeoffice zu schicken, seien vielfältig, sagt Sonja Sackmann, Professorin für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Bundeswehr-Universität in München.
Sie rät Vorgesetzten, unbedingt den Eindruck von Willkür zu vermeiden. So sollten Führungskräfte „offen kommunizieren, warum es in unterschiedlichen Abteilungen eines Betriebes etwa aus Datenschutzgründen zu unterschiedlichen Regelungen kommt“.
Oder warum sich manche Aufgaben ohne größeren Koordinierungsaufwand zwar durchaus fürs Homeoffice eignen, bei komplexen und vielschichtigen Projekten aber „Reibungsverluste“ drohen können, wie Sackmann es nennt.
Diese will auch Textil-Patriarch und Trigema-Chef Wolfgang Grupp vermeiden. Der 78-jährige Unternehmer hat deshalb eine klare Linie vorgegeben: Homeoffice gibt’s nicht – auch nicht für seine 35 Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich, die er gerne um sich geschart hält.
Führung aus der Ferne
„Wenn ich einem Mitarbeiter Homeoffice zugestehe, kann ich nicht mehr zurück“, so Grupp, den es schon nervt, dass er selbst dauernd den Raum wechseln muss, um an Videokonferenzen teilzunehmen: „Das kostet viel zu viel Zeit.“ Der Mittelständler aus Burladingen fürchtet Bummelantentum und Kontrollverlust im Homeoffice. „Schwarze Schafe bekommen Oberhand“, ist Grupp überzeugt. Also ist er hart geblieben.

„Schwarze Schafe bekommen Oberhand“, ist Textil-Patriarch Grupp überzeugt.
Tatsächlich stellt das Führen aus der Ferne Chefs vor große Herausforderungen. Fred Windel, Geschäftsführer der Osnabrücker Windel-Group, weiß das zu gut. Etwa ein Viertel der 550-köpfigen Belegschaft des Süßwaren- und Geschenkeherstellers könnte Homeoffice machen.
Für den ersten Lockdown hat Windel deshalb die Homeoffice-Kiste eingeführt, die – von Notebooks bis Arbeitsunterlagen – alles enthalt, was der jeweilige Mitarbeiter für die Arbeit von zu Hause braucht. Auch jetzt kommen die Kisten wieder zum Einsatz.
Aber: Eine Dauerlösung sei Homeoffice nicht. Höchstens zehn Tage pro Jahr im privaten oder beruflichen Bedarfsfall soll nach jetziger Planung möglich sein. Mehr hält er für seine Unternehmensgruppe für unrealistisch, auch wenn der Gesetzentwurf für ein „Recht auf Homeoffice“ deutlich mehr Tage vorsieht. Windel: „Ein Industrieunternehmen lässt sich nicht aus dem Homeoffice weiterentwickeln.“
Windel ist niemand, der seinen Mitarbeitern nicht vertraut. „Ich fürchte aber, dass Führungskräfte ihre Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern im Homeoffice vergessen könnten.“ Mangelhafte Arbeitsbedingungen, ob schlechte Beleuchtung oder ungeeignetes Mobiliar, aber auch Vereinsamung oder Überlastung – fällt remote alles gar nicht auf. Doch das könne nicht die Zukunft der Arbeit sein, meint Windel. Vorgesetzte hätten schließlich eine Fürsorgepflicht. Im Büro und im Homeoffice.
Mehr: Der Büroangestellte, wie wir ihn kennen, ist ein Auslaufmodell
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