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Elterngeld-KommentarWas die Kürzung für Familien bedeuten könnte

Um die Deckungslücke im Haushalt zu schließen, soll das Elterngeld in Teilen rückabgewickelt werden. Die Folge könnte ein neuerlicher Gebärstreik sein.Heike Anger 05.07.2023 - 10:14 Uhr
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Tatsächlich wurde der Abwärtstrend der Geburtenrate unter Akademikerinnen durch das Elterngeld gestoppt.

Foto: obs

Die Schuldenbremse einhalten und die wegen Ukrainekriegs und Energiekrise schwierige Finanzpolitik meistern – das soll offenbar vor allem auf Kosten der Frauen geschehen. Denn im Zuge des aktuellen Sparkurses beim Bundeshaushalt könnte es zu Änderungen beim Elterngeld kommen.

Konkret soll die Einkommensgrenze, bis zu der es Anspruch auf das Elterngeld gibt, deutlich gesenkt werden. Das trifft Familien, allen voran aber die Frauen. Denn die familienpolitische Leistung des Elterngelds wurde 2007 nicht zuletzt eingeführt, um Frauen aus dem Gebärstreik zu holen. Die Idee: Das Elterngeld gleicht fehlendes Einkommen aus, wenn Eltern ihr Kind nach der Geburt betreuen.

Wir erinnern uns: Vor der Einführung des Elterngelds war die Kinderlosigkeit hierzulande besonders stark ausgeprägt. Deutschland hatte mit 1,36 Kindern pro Frau eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt.

Dahinter steckte auch die Furcht der Frauen vor finanzieller Abhängigkeit. Es gab kein Elterngeld, keinen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr, kein Rückkehrrecht aus der Teilzeit in Vollzeit.

Im damaligen Gesetzentwurf hieß es, finanzielle Unsicherheit und Brüche in der Berufsbiografie seien Gründe, den Kinderwunsch nicht zu verwirklichen. Das Aufziehen von Kindern bewirke Einkommenseinschränkungen, die sich im Vergleich der Einkommen von Müttern und kinderlosen Frauen oft zu „unaufholbaren finanziellen Nachteilen“ entwickelten und Armutsrisiken vergrößerten.

Elterngeld: Wichtiger Hebel

Als „besonders auffällig“ wurde damals der Umstand gesehen, dass insgesamt 39 Prozent der 35- bis 39-jährigen Akademikerinnen ohne Kinder im Haushalt lebten. Verwiesen wurde auf internationale Erfahrungen, dass eine Familienpolitik, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördert, die Entscheidung für Kinder erleichtert.

Wenn jetzt darüber nachgedacht wird, dass Familien nur noch bis zu einem bestimmten Jahreseinkommen Anspruch auf das Elterngeld haben, dann wird die ursprüngliche Idee rückabgewickelt.

Tatsächlich wurde der Abwärtstrend der Geburtenrate unter Akademikerinnen gestoppt und stieg nach der Einführung des Elterngelds binnen eines Jahres deutlich an. Auch wenn sich der Zusammenhang nicht eins zu eins belegen ließ – der Sprung war messbar.

Heutzutage gelten das Elterngeld und vor allem die Partnermonate als wichtiger Hebel, um die Erwerbs- und Sorgearbeit bei Paaren gerechter aufzuteilen.

Noch immer gilt, dass die Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt vor allem für Frauen voll zuschlägt, wenn das erste Kind geboren wird. Bis etwa zum 30. Lebensjahr existieren nur geringe Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern. Doch ist der Nachwuchs da, verzeichnen Frauen kaum noch Lohnwachstum. Sie sind es, die häufiger und länger in Elternzeit gehen, dann meist dauerhaft in Teilzeit.

Das Elterngeld setzt Anreize, dass die Aufgaben in der Familie gleichmäßiger aufgeteilt werden – und sich damit eine gerechte Erwerbs- und Sorgearbeit grundsätzlich etabliert. Dafür wurden im vergangenen Jahr 7,7 Milliarden Euro bereitgestellt.

Junge Frauen im Klima-Birthstrike

Auch hier droht – das hat die Coronakrise eindrücklich belegt – ein Rückfall in alte Rollenmuster, wenn Paare aus dem Kreis der Berechtigten herausfallen. Nun ließe sich sagen, beim diskutierten Jahreseinkommen ab 150.000 Euro treffe es keine Armen. Doch Abhängigkeiten von Frauen würden dennoch wieder zementiert.

Noch immer gilt, dass die Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt vor allem für Frauen voll zuschlägt, wenn das erste Kind geboren wird.

Foto: IMAGO/Zoonar

Dazu kommt: Angesichts der drohenden Klimakatastrophe bekennen junge Frauen um die 30, ihren Kinderwunsch aufzugeben. Die Bewegung nennt sich Birthstrike, Gebärstreik. In einer im Februar veröffentlichten Umfrage des Online-Marktforschungsinstituts Appinio unter 1000 Befragten in Deutschland gaben 26,4 Prozent der 16- bis 24-Jährigen an, ihren Kinderwunsch wegen der Klimakrise aufgegeben zu haben, für weitere 24,5 Prozent hat sich der Kinderwunsch abgeschwächt.

Mit Blick auf die Geburtenrate bahnt sich also gleich auf mehreren Ebenen Unheil an. Auf lange Sicht keine guten Zeichen – für die Gesellschaft als Ganzes und für die Linderung des Arbeitskräftemangels im Speziellen.

Natürlich muss die milliardenschwere Deckungslücke im Haushalt geschlossen werden. Dass alle Ampelparteien in ihren Wahlprogrammen eigentlich eine Ausweitung des Elterngelds versprochen hatten – geschenkt! Aber das Elterngeld zurückzufahren ist ein gefährliches Wagnis.

Verwandte Themen Deutschland Arbeitsmarkt Schuldenbremse

Mehr: Kindergeld und Co. – Die familienpolitischen Leistungen im Überblick

Erstpublikation: 03.07.2023, 18:34 Uhr.

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