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EssayIch habe beschlossen, keine Angst mehr zu haben

Angst blockiert, lähmt, verschlimmert alles. Unser Autor hat sich entschieden, keine Angst mehr zu haben. Und findet Mut dafür in der Popkultur.Thorsten Firlus 24.12.2025 - 04:00 Uhr Artikel anhören
Heinz-Rudolf Kunze: Der Liedermacher sprach in den 80ern davon, gegen den Frieden zu sein, unser Autor heute davon, keine Angst zu haben. Foto: imago images/BRIGANI-ART

Ich habe keine Angst. Keine Angst vor Klimawandel. Keine Angst vor Krieg. Keine Angst vor Deindustrialisierung. Keine Angst vor Rechtsradikalen. Keine Angst vor wirtschaftlichem Abstieg. Und schon gar keine vor meinem Tod. Habe ich Ihre Aufmerksamkeit?

Dieser Auftakt ist natürlich eine Adaption des Sprechtextes „Ich bin gegen den Frieden“ des Musikers Heinz-Rudolf Kunze.

Keine Angst mehr zu haben, war ein Entschluss, den ich vor einigen Jahren getroffen habe. Sicher, eine Entwicklung basierend auf Jahrzehnten der Horrorszenarien, aber dennoch irgendwann die für mich getroffene bewusste Entscheidung: von heute an keine Angst mehr vor irgendwas.

Die Ängste der Vergangenheit machen Mut für die Zukunft

Mit Angst sind Menschen meiner Generation – so wie vermutlich die davor und selbstverständlich die derzeitige junge – groß geworden. Der atomare Erstschlag „der Russen“ war weniger eine Frage des Ob, sondern des Wann. „The Day After“ machte wenig Lust auf den nächsten Morgen nach dem Atomschlag. Dass eines Tages die Bäume sterben (saurer Regen), schien ausgemacht.

Baden im Rhein, wie für meinen Vater noch üblich, galt als unmöglich („Für’ne Fründ“, Wolfgang Niedecken, Schlagzeiten), allzu viele Fische schwammen mit dem Bauch oben. Heute sterben Nichtschwimmer in den zu Recht als gefährlich betrachteten Strömungen des inzwischen sauberen Flusses.

Die Angst ist Teil unserer Biografien, ganz gleich, wann wir auf die Welt kommen.

Die noch in der Grundschule liebevoll bemalte Jutetasche fristet bis heute ein unbenutztes Dasein im Regal ((Everything gives you, „Cancer“, Joe Jackson). Und selbst wenn das alles nicht eintreten würde, dann wäre es die ungeschützte Liebe, die einen mit Aids dahinrafft.

Die Angst ist Teil unserer Biografien, ganz gleich, wann wir auf die Welt kommen. Mit Angst lässt sich vieles erreichen und verkaufen. Angst vor Krankheiten, Angst vor Armut, Angst vor Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit?

Hat da noch wer Angst vor, so wie in den Achtzigern, als ebenjener Liedermacher Kunze das Lied „Eine ruhige Kugel“ schrieb? Es gab Altersgenossen, die sagten, sie wollten keine Kinder in die Welt setzen angesichts der Arbeitslosigkeit.

Bergungsmannschaften sind 1986 nach der Katastrophe von Tschernobyl mit Aufräumarbeiten beschäftigt: Szenarien wie dieses füllten Hitparaden und Bibliotheken, schreibt Thorsten Firlus. Foto: dpa

Das Ende des menschlichen Lebens durch Ozonloch, AKW-Unfall oder Luftverschmutzung war ein Szenario, das ganze Hitparaden und Bibliotheken füllte. Und in Sorgen zu suhlen, gibt uns Menschen die Chance, sich lebendig zu fühlen.

Keine Angst zu haben, heißt nicht, idiotisch zu sein

Wer die Änderungen des Wetters und mithin die Folgen des Klimawandels nicht sieht, ist naiv oder blind. Dass es Menschen braucht, die auf gefährliche Entwicklungen hinweisen, und eine Gesellschaft, die diese Probleme beherzt angeht, weiß jeder, der seinen FCKW-Kühlschrank entsorgt hat und auf Deoroller umgestiegen ist. Keine Angst zu haben, heißt nicht, idiotisch zu sein.

Aus Angst nichts zu unternehmen, ist so wenig sinnvoll, wie aus Angst zu Mitteln zu greifen, die Errungenschaften moderner Demokratien opfern.

Aber das sich immer mehr schließende Ozonloch und die sauberen Flüsse sind Zeugnis dafür, dass etwas verändert werden kann und etwas geschieht. Der Weg dorthin führte nicht über das Kopf-in-den-Sand-Stecken oder Erstarren.

Wer das Vertrauen verliert, dass die Menschen die Probleme lösen werden, trägt dazu bei, dass genau das passiert. Aus Angst nichts zu unternehmen, ist so wenig sinnvoll, wie aus Angst zu Mitteln zu greifen, die Errungenschaften moderner Demokratien opfern.

Es gibt nahezu kein Thema, das die Gesellschaft beschäftigt, das nicht schneller konstruktiv gelöst werden könnte. Panik, dass es für irgendwas zu spät sei, macht vor allem eines: krank.

Warum Angst selbst bei Trump ein schlechter Ratgeber ist

Nehmen wir die USA, die vielen Menschen derzeit Sorgen bereiten. Gewiss, wenig an der Politik von Donald Trump behagt mir persönlich. Und ich frage mich, ob Randy Newman seine 2008 (!) verfassten „A few Words in Defense of my Country“ noch heute so formulieren würde, die Analyse ist – trotz ihres Alters – in Summe nahezu beruhigend: „The end of an empire is messy at best / This empire is ending like all the rest.“

Yoda aus „Star Wars“: Einer der größten Denker der Popkultur hat sich auch zum Thema Angst geäußert. Foto: Imago Images

Newman zieht lakonisch Bilanz über die Schrecken der Herrscher der Weltgeschichte und baut in sein Stück ein Zitat ein, das Franklin D. Roosevelt zugeschrieben wird: „The only thing we have to fear is fear itself.“

Angst ist noch immer der schlechteste Ratgeber gewesen. Denn sie lähmt den Mut zur Veränderung, der nötig ist, um Dinge zum Besseren zu gestalten. Schlimmer noch. Angst, das wissen wir von einem der größten Denker der Popkultur, Yoda, führt ins Verderben: „Fear is the path to the dark side ... fear leads to anger ... anger leads to hate ... hate leads to suffering.“

Wem Yoda als Referenz für ein Plädoyer für ein Leben ohne Angst zu banal und wenig kompetent erscheint, mag sich im Buch „Im Namen des Vaters, des Sohnes und der Macht – Star Wars und die Bibel“ von den Autoren Simone (promovierter Theologe) und Claudio Paganini überzeugen lassen, dass Star Wars bemerkenswerte Parallelen zur Bibel aufweist.

Die Entscheidung, Angst abzulehnen, ist, wie eine Diät zu beginnen, um abzunehmen. Es gibt Rückschläge, es mag schiefgehen. Es hilft zweifelsfrei, Situationen erlebt zu haben, die bedrohlich waren für einen selbst, für das nahe Umfeld, aus denen man dann in der Regel irgendwann wieder herauskommt und feststellt: Das Leben geht weiter.

Vielleicht anders, in Teilen schlechter, doch am Ende geht es weiter, und jeder Tag bietet die Chance auf Freude und Verbesserung. Oder wie Alltagsphilosoph Charlie Brown mit Snoopy erörtert: „Some day we will all die, Snoopy!“ und Snoopy antwortet: „True, but on all the other days we will not.“

Was angstfrei leben heißt

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Diese Zerrissenheit aus Sorge und Hoffnung für die Zukunft fasste Joe Jackson in „Tomorrow’s World“ zusammen, und so manches scheint doch greifbarer, als er 1989 beim Verfassen der folgenden Zeilen wissen konnte. „We’re gonna live in tomorrow's world / We'll live on power from the sun.“ Was bleibt 36 Jahre später? Die Erkenntnis, dass auch positive Aussichten Wirklichkeit werden können.

Angstfrei zu leben, heißt für mich, zu akzeptieren, dass Dinge sich ändern, und meinen Teil beizutragen. Und sei es, die Ruhe zu bewahren. Und wenn dann an einem Tag vielleicht doch mal gar nichts geht, geht immer Musik von Johann Sebastian Bach. Ohne Worte. Oder wie Joe Jackson in Tomorrow’s World singt: „Yeah – they put the Bach music in / Left all the shit behind.“

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