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GastkommentarLNG-Moratorium ist Gift für die westliche Zusammenarbeit

Die US-Regierung sollte ihre Entscheidung, keine neuen Lizenzen für Flüssigerdgas-Exporte zu erteilen, rückgängig machen, rät Wolfgang Ischinger. Wenn nicht, könnte wieder russische Energie ins Spiel kommen. 06.09.2024 - 16:20 Uhr Artikel anhören
Wolfgang Ischinger ist Botschafter a. D. und Vorsitzender des Stiftungsrats der Münchener Sicherheitskonferenz. Er lehrt an der Hertie School in Berlin und an der Universität Tübingen. Foto: REUTERS, IMAGO

Die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden zu Beginn dieses Jahres, neue Genehmigungen für amerikanische Flüssigerdgas-Exportprojekte (LNG) zu stoppen und damit künftige Energieexporte nach Europa einzuschränken, hat echte transatlantische Besorgnis ausgelöst. Warum?

Die Energiesicherheit hat für die Regierungen in ganz Europa und insbesondere in Deutschland nach wie vor höchste Priorität. Die Folgen des russischen Einmarsches in der Ukraine im Februar 2022 haben den Volkswirtschaften der Nato-Länder und der europäischen Energiesicherheit schweren Schaden zugefügt. Vielleicht in keinem Land mehr als in Deutschland.

Die Sicherheit der Energieversorgung ist ein integraler Bestandteil einer umfassenden Sicherheitspolitik. Von einem Tag auf den anderen war diese Sicherheit nicht mehr gegeben, da Russland kein akzeptabler Gaslieferant mehr war. Der größte europäische Nato-Partner musste radikale, schmerzhafte und kostspielige Veränderungen vornehmen. Natürlich hatten die Freunde und Verbündeten Deutschlands Grund zu sagen: „Wir haben es euch gesagt!“

Die US-Regierung stoppte die LNG-Exporte, um nationalen Umweltbedenken Rechnung zu tragen

In dieser Situation griffen die USA ein. Noch im Jahr 2015 gab es praktisch keine LNG-Exporte aus den Vereinigten Staaten nach Europa. Im Jahr 2023 exportierten die USA 60 Prozent ihrer Gasexporte in die Europäische Union (EU) und deckten damit etwa die Hälfte aller EU-Gasimporte.

» Lesen Sie auch: US-Senatoren und Industrie kritisieren Bidens LNG-Moratorium – und verweisen auf Deutschland

Sowohl vom Umfang als auch vom Zeitplan her waren die amerikanischen Exporte ein Rettungsanker. Der Anteil der russischen Gaslieferungen an die EU sank auf nur acht Prozent im Jahr 2023. Dies wäre ohne amerikanisches LNG nicht möglich gewesen. Damit ist die Energieversorgung Deutschlands wieder sicherer und zuverlässiger geworden – und Russland verdient immer weniger Devisen an den Gasexporten in die EU.

So weit, so gut. Leider hat Washington im Februar 2024 beschlossen, keine neuen Lizenzen für LNG-Exporte zu erteilen, und sich damit den Forderungen von Umweltgruppen gebeugt und ein einseitiges Moratorium verhängt. Die Entscheidung, keine Genehmigungen mehr zu erteilen, wurde getroffen, um nationalen Umweltbedenken Rechnung zu tragen.

Sie könnte aber Gift für die langfristige Energiezusammenarbeit über den Atlantik hinweg sein, zumal die eskalierenden Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine andere Energieversorgungswege Europas infrage stellen. Das LNG-Moratorium stellt auch die nordatlantische Energieroute infrage – und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie so wichtig wie noch nie war.

Amerikas Verbündete und Handelspartner in Europa brauchen Planungssicherheit für LNG

So hat das ukrainische Unternehmen DTEK eine Vereinbarung über den kurzfristigen Bezug von LNG ab dem kommenden Winter und den langfristigen Bezug von LNG von dem amerikanischen Lieferanten Venture Global unterzeichnet.

Diese Vereinbarung würde der Ukraine erheblich helfen, in Kriegszeiten die Energieversorgung aufrechtzuerhalten, und ihre Wiederaufbaubemühungen unterstützen sowie die weitere Loslösung von russischem Gas aus dem europäischen Energiemix fördern.

Dieses Abkommen – und damit die langfristige Sicherheit der Ukraine – hängt jedoch davon ab, dass die neue Anlage von Venture Global im US-Bundestaat Louisiana, CP2 genannt, für den Export genehmigt wird. Die Entscheidung von US-Präsident Biden stellt dies nun infrage.

Amerikas Verbündete und Handelspartner in Europa brauchen jetzt Planungssicherheit für LNG. Deutschland und andere europäische Länder bauen neue Anlagen zur Aufnahme von US-LNG und haben erkannt, wie wichtig eine langfristige Energiesicherheit ist und dass die Abhängigkeit von Russland im Energiebereich endgültig der Vergangenheit angehört. Dieses Ziel wäre eine strategische Errungenschaft sowohl für die amerikanischen als auch für die europäischen Interessen.

Werden jedoch keine neuen LNG-Exportgenehmigungen für die Ausfuhr nach Europa erteilt, könnte dies zum Gegenteil führen: Die Europäer könnten gezwungen sein, die Lücke zu schließen, indem sie wieder Energie aus Moskau kaufen und die russische Kriegskasse auffüllen. Dies ist sowohl für Amerika als auch für Europa unerwünscht, ganz zu schweigen von den Interessen der Ukraine.

Auf meiner Wunschliste für die nächste US-Regierung steht die Verpflichtung, das Moratorium zu beenden und die europäische Energiesicherheit aktiv zu unterstützen, indem neue und verstärkte LNG-Exporte nach Europa zugelassen werden.
Wolfgang Ischinger

Auf meiner Wunschliste für die nächste US-Regierung steht die Verpflichtung, das Moratorium zu beenden und die europäische Energiesicherheit aktiv zu unterstützen, indem neue und verstärkte LNG-Exporte nach Europa zugelassen werden.

Der republikanische Kandidat Donald Trump hat sich bereits Anfang 2024 verpflichtet, das Moratorium zu beenden, falls er gewählt wird. Die neue demokratische Kandidatin und aktuelle Vizepräsidentin Kamala Harris sollte sich diesem Versprechen im Interesse der transatlantischen Sicherheit und Solidarität anschließen.

Denn die Frage der transatlantischen Zusammenarbeit bei der Energieversorgung und der Energiesicherheit sollte nicht zum Zankapfel werden, sondern zu einem integralen Bestandteil der transatlantischen Erfolgsgeschichte des kommenden Jahrzehnts.

Verwandte Themen Europa Ukraine Europäische Union USA Joe Biden NATO

Der Autor:
Wolfgang Ischinger ist Botschafter a. D. und Vorsitzender des Stiftungsrats der Münchner Sicherheitskonferenz. Er war Botschafter in Washington und London und von 2008 bis 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Er lehrt an der Hertie School in Berlin und an der Universität Tübingen.

Mehr: Rohstoffexperte rechnet mit enormer Preisrally bei US-Erdgas – Wird Methan das neue Uran?

Erstpublikation: 04.09.2024, 10:48 Uhr.

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