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Expertenrat – Prof. Dr. Curt DiehmTestosteron als Pille? Was das Hormon mit Männern wirklich macht

Testosteron macht aggressiv? Ein Mythos. Über das „Königshormon“ des Mannes herrscht viel Halbwissen. Wozu ein hoher Testosteronspiegel führt.Curt Diehm 19.10.2018 - 11:06 Uhr Artikel anhören

Das Hormon ist unter anderem für die Sexualität beim Mann mitverantwortlich.

Foto: dpa

Die Vorstellung ist zunächst verlockend: Eine Pille am Tag, ein wenig Gel auftragen, und schon ist die Vitalität und Sexualfunktion auch in fortgeschrittenem Alter wiederhergestellt. Die Rede ist von: Testosteron.

Testosteron ist bekanntlich ein Schlüsselhormon und unter anderem für die Sexualität beim Mann mitverantwortlich. Weil ein hoher Testosteronspiegel grundsätzlich Energie und Muskelkraft verleiht, wird es auch gerne als „Powerhormon“ bezeichnet.

Es wird in den männlichen Keimdrüsen, den Hoden, gebildet und ist quasi das „Königshormon des Mannes“. Bei Männern ist die Testosteronkonzentration etwa zehnmal höher als bei Frauen, die diesen Stoff vornehmlich in den Eierstöcken sowie in der Nebennierenrinde produzieren.

Bei Führungskräften hat ein hoher Testosteronspiegel noch eine andere Funktion. Er steigert Statusbewusstsein und Selbstwertgefühl. Wer viel Testosteron im Blut hat, will Anführer und Chef sein – nicht nur im Tierreich.

Auf der anderen Seite werden mit einem Testosteronmangel eine Reihe von Krankheitszeichen in Verbindung gebracht: Abgeschlagenheit, herabgesetzte Muskelkraft, verringerte Knochendichte, Neigung zu Fettleibigkeit, depressive Verstimmung, Konzentrationsstörungen, schlechter Schlaf und Blutarmut. In einer großen Kohorten-Studie mit mehreren Zehntausend Teilnehmern konnte aufgezeigt werden, dass Männer mit hohem Testosteronspiegel ein geringeres Sterblichkeitsrisiko haben.

Bevor ich zu der Frage komme, ob und wann aus medizinischer Sicht Testosteron künstlich zugeführt werden soll, ein paar wissenswerte Fakten. Es ist ein Mythos, dass ein hoher Testosteronspiegel aggressiv, egoistisch und gierig macht. Das männliche Sexualhormon genießt zu Unrecht einen schlechten Ruf.

Testosteron macht nicht aggressiv, sondern empathisch

So konnte beispielsweise Markus Heinrichs, ein Psychologe an der Universität Freiburg, in einer Studie, die in dem weltweit angesehenen Journal „Nature“ publiziert wurde, eindrucksvoll zeigen, dass Testosteron Männer hilfsbereit, großzügig und fair macht. Den Zusammenhang von beruflichem Aufstieg und Testosteron erklärt die Studie so: Empathie und Großzügigkeit können karrierefördernd sein. Oder einfach ausgedrückt: Chef wird, wer die meisten Freunde hat!

Seriöse Schulmediziner stellen das Konzept der Anti-Aging-Medizin heute kritisch infrage, das auf der Zuführung von Testosteron, DHEA, Melatonin, Wachstumshormonen und Östrogen fußt. Evidenzbasiert steht die Wirkung der systematischen Einnahme dieser Hormone noch auf wackeligen Beinen. Die positiven Effekte sind mehr als umstritten, ungünstige Nebenwirkungen dagegen bekannt.

Viele meiner männlichen Patienten kommen mit Halbwissen zu mir und wollen unbedingt, dass ich ihren Hormonspiegel künstlich belebe. Sie bekommen dann erst einmal ein Kurzseminar: Der Testosteronspiegel ist auf natürliche Weise nachhaltig beeinflussbar.

Es mag inzwischen eine alte Leier sein. Aber es bleibt wahr: Ein gesunder Lebensstil ist das beste Präparat gegen einen ab dem 30. bis 35. Lebensjahr sinkenden Testosteronspiel. Dazu gehören Reduktion von Übergewicht, eiweißreiche Kost sowie testosteronförderliche Nahrungsmittel wie Mais, Avocado und Ingwer. Zucker gilt es zu vermeiden. Erfolgserlebnisse im Sport heben ebenfalls den Testosteronspiegel an. Außerdem ist Krafttraining (mit schweren Gewichten) günstiger als Ausdauertraining.

Sonnenlicht steigert nicht nur die Bildung von Vitamin D, sondern auch von Testosteron. Ein Testosteronkiller ist Stress. Stress erhöht den Cortisolspiegel im Blut. Es gilt die Regel: Je höher der Cortisol-, desto niedriger der Testosteronspiegel. Auch ein langer Schlaf fördert die Testosteronproduktion, weil es der Körper vornehmlich während dieser Zeit herstellt. Nikotin- und Alkoholabusus wirken hingegen negativ.

Soll Testosteron substituiert werden?

Erst wenn ein gesunder Lebensstil sichergestellt ist, würde ich im Notfall zu einer Substitution raten. Auf der Basis des Wissens also, nicht auf der Basis des Wollens. Zunächst muss der Testosteronspiegel festgestellt werden. Der Wert im Blut sollte bei wiederholten Messungen zwischen 8 und 10 Uhr morgens unter 12 nmol/g liegen.

Bei einem normalen Spiegel würde ich von Medikamenten abraten. Nur bei einer echten Unterproduktion empfehle ich Zuführungen. Testosteron kann als Kapsel eingenommen werden, als Spritze oder sehr häufig in Form eines Gels oder einer Lösung, die auf die Haut appliziert wird. Über die Haut gelangt das Testosteron dann in den Körper. Die Gele sind auch deshalb vorteilhaft, weil sie kurzfristig wirken und auch kurzfristig absetzbar sind.

Wer Testosteron zuführt, sollte sich auch über die Nebenwirkungen im Klaren sein. Ein Anstieg des Prostatakrebswertes PSA und das Auftreten eines Prostatakarzinoms sind möglich. Auch eine Eindickung des Blutes mit zu vielen roten Blutzellen, eine sogenannte Polyglobulie, kann ausgelöst werden, was dann zu einer erhöhten Thrombosegefahr führt. Deshalb sollte die Einnahme eines Testosteron-Präparats immer mit einem Urologen oder einem Internisten/Endokrinologen abgestimmt werden.

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Vor einem Missbrauch von Testosteron möchte ich ausdrücklich warnen. Patienten berichten mir immer wieder, dass nach einem anfänglichen „Boost“ die Wirkung schnell wieder nachlässt und Ernüchterung einkehrt. Nicht jeder Testosteronmangel muss also gleich mit einer Hormon-Ersatztherapie angegangen werden.

Curt Diehm ist ärztlicher Direktor der auf Führungskräfte spezialisierten Max-Grundig-Klinik. Der Internist lehrt zudem als außerplanmäßiger Professor an der Universität Heidelberg und ist Autor von über 200 wissenschaftlichen Originalpublikationen sowie vielen Sachbüchern. Foto: Handelsblatt

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