Expertenrat – Eike Wenzel: Wertschöpfung und Wertschätzung: Fünf Ideen für die Ernährung der Zukunft

Die Ernährung der Zukunft ist regionaler – und konfrontiert Verbraucher auch mit den wahren Kosten der Lebensmittelproduktion.
Corporate Crops, so nennen angloamerikanische Ernährungswissenschaftler Produkte, die wir massenweise essen, obwohl sie fast keinen Nährwert haben – dafür aber gut sind für die Umsätze und Usancen des globalen Ernährungssystems.
Eisbergsalat ist beispielsweise so ein Corporate Crop. Das Produkt schmeckt penetrant nach nichts, doch es übersteht auch wochenlangen Transport in Schiffscontainern und auf Lkws, ohne unansehnlich zu werden. Wer fragt schon danach, wie das Zeug schmeckt?
Wir lernen hieraus: Offensichtlich ist der global operierenden Ernährungsbranche die Effizienz ihrer Abläufe wichtiger als das Produkt selbst. Doch da es sich bei den Produkten um unser Essen handelt, auf das wir nicht verzichten können, sollte uns das misstrauisch machen.
Der globale Nahrungsmittelmarkt ist geprägt von gigantischen Logistiknetzwerken bei nur geringen Gewinnspannen. Nur durch die stringente Globalisierung und die Zentralisierung des Marktes auf wenige große Akteure können überhaupt akzeptable Gewinnmargen erzielt werden.
Lebensmittel legen im Durchschnitt 2500 Kilometer an Transportwegen zurück, bevor sie bei uns auf dem Teller landen. Ohne hochkomplexe Vertriebsnetze ist die globale Ernährungsindustrie nicht vorstellbar. Bei einem gewöhnlichen Schokoriegel aus dem Supermarktregal kommt der Kakao aus Westafrika, der Zucker aus der Karibik, das Palmöl aus Südostasien, das Soja aus Südamerika und das Calciumsulfat aus Indien. Banale Produkte unseres Ernährungsalltags werden (darin nur noch dem Flugzeug- und Autobau vergleichbar) über mehrere Kontinente hinweg „zusammengebaut“.
Lebensmittel: Marktkonzentration hat fatale Folgen für die globale Versorgung
Die Marktkonzentration auf den gestressten Nahrungsmittelmärkten, wie sie in den vergangenen rund 40 Jahren Gestalt angenommen hat, führte in den ersten Wochen der Corona-Pandemie dazu, dass der Ausfall von kleinsten Kettengliedern in der Logistikkette (ein kleines Schlachthaus, wo auch immer) sofort das gesamte System der globalen Versorgung in Gefahr brachte.
Als John Tyson, der mächtige CEO von Tyson Food, dem zweitgrößten Fleischverarbeiter der USA, in den ersten Wochen der Coronakrise vor dem Zusammenbruch der internationalen Lebensmittellogistik warnte, schritt umgehend US-Präsident Donald Trump ein und setzte den „Defense Production Act“ in Kraft.
Das Gesetz wurde in Zeiten des Koreakriegs entworfen und bevollmächtigt den US-Präsidenten, Industriebetriebe zur Produktion bestimmter Güter zu verpflichten. Wohlgemerkt, Trump ordnete nicht die Produktion von Schutzmasken oder Ähnliches an, er befahl, dass die Massenproduktion von Fleisch um jeden Preis aufrechterhalten werden müsse.
Lausig bezahlte Immigranten in den Schlachthäusern galten dadurch plötzlich als systemrelevant und riskierten ihre Gesundheit und die anderer, um die „Fleischversorgung“ der Burger-Nation weiterhin sicherzustellen. Und natürlich sorgte sich auch Tyson Food nicht nur um das Nahrungsmittelsystem, die Profitabilität der Fleischindustrie stand plötzlich auf dem Spiel.
Massentierhaltung verursacht genauso viel Treibhausgasemissionen wie Verkehr
Wir müssen als Gesellschaft in den nächsten Jahren darüber nachdenken, was wir essen und wie wir die Nahrungsmittelindustrie umgestalten können. Der weltweite Fleischkonsum stellt eine erhebliche Belastung für das Klima dar. Laut Schätzungen der Welternährungsorganisation der Uno verursacht die Massentierhaltung mit 14,5 Prozent gleich hohe Treibhausgasemissionen wie der globale Verkehr.
Dabei müssen wir den Fleischkonsum nicht abschaffen. Doch Fleisch war über Jahrhunderte ein Luxusgut. Und heute lässt sich das globale Wohlstandssystem, das für die globalen Mittelschichten direkt mit Fleischgenuss verknüpft ist, nur durch Billiglöhne, menschenverachtende Arbeitsbedingungen und unsägliches Tierleiden in der Nahrungsmittelindustrie aufrechterhalten.
Wir brauchen nicht nur eine andere Wertschöpfungs-, sondern vor allem auch eine neue Wertschätzungskultur für Nahrungsmittel. Der amerikanische Food-Guru Michael Pollan unterscheidet klugerweise zwischen Rohstoffen wie Soja und Mais (beides wird industriell in erster Linie als Tierfutter angebaut) und Lebensmitteln, die die Bezeichnung wirklich verdienen, weil sie den Menschen (und den Produzenten) ein gutes Leben ermöglichen.
Lebensmittelindustrie: So funktioniert nachhaltige Wertschöpfung
Wie sollten Gegenmaßnahmen aussehen, die ein neues Ernährungssystem möglich machen?
Die Lancet Commission („Food in the Anthropocene“) bringt es auf den Punkt: Unsere Ernährung und die Art und Weise, wie wir unsere Nahrung herstellen, entscheiden über unsere Gesundheit und die Gesundheit des Planeten.
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