Gastkommentar: Altkanzler Schröder und Historiker Schöllgen: Europa muss jetzt von Grund auf reformiert werden

Gregor Schöllgen (r.) ist Historiker und Publizist, Gerhard Schröder ist ehemaliger Bundeskanzler.
Europa steht am Scheideweg. Die politische Implosion des einmal wichtigsten Partners Amerika, das ungeklärte Verhältnis zu Russland und China, die wirtschaftlichen Verwerfungen infolge von Corona und der unkoordinierte Umgang mit dieser Pandemie haben die Europäische Union in eine tiefe Krise geführt.
Wie in anderen politischen und wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder weltanschaulichen Gefügen wirkt die Pandemie im maroden Bau der Europäischen Union wie ein Brandbeschleuniger. Schwächen und Versäumnisse werden aufgedeckt, alte Gewissheiten lösen sich auf, Ignoranz und Verdrängung funktionieren nicht mehr.
Die Welt, in der wir leben, hat mit der vor 30 Jahren versunkenen des Kalten Krieges nur noch wenig gemein. Die Kräfte, die unsere Gegenwart bestimmen, sind mit den Mitteln und Methoden jener Vergangenheit nicht mehr zu bändigen. Wollen wir sie bändigen, müssen wir die richtigen Fragen stellen, auch wenn die Antworten unbequem sind. Mit dieser schonungslosen Diagnose ist zugleich ein erster Schritt auf dem Weg aus der Krise getan.
Es ist eben kein Zufall, dass Europa in Zeiten einer Pandemie über kein gemeinsames Krisenmanagement verfügt. Denn die Gesundheitssysteme wurden nie koordiniert, sind also bis heute national organisiert. Davon profitieren Staaten wie Deutschland, die auf eine konsequente Ordnungspolitik setzen und auch deshalb staatlichen Vorgaben nicht von vornherein eine Absage erteilen.





