Gastkommentar: Deutschland muss klar Nein sagen zu Gas aus Russland

Am 24. Februar 2022 musste Deutschland die Konsequenzen aus einer jahrzehntelangen, verhängnisvollen Abhängigkeit von Russland ziehen. Billiges russisches Gas hatte der deutschen Wirtschaft zu einem letztlich teuer erkauften Aufschwung verholfen, denn es hat auch Putins brutalem, völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen die Ukraine den Weg geebnet.
Seitdem ist diese Abhängigkeit dramatisch gesunken, auch wenn Deutschland über das europäische Gasnetz weiterhin einen geringen Anteil seines Gasbedarfs aus russischen Quellen deckt. Dennoch entbrennt derzeit eine Debatte darüber, was mit der Leitungsinfrastruktur von Russland nach Europa geschehen soll. Denn die beschädigten Röhren der Nord-Stream-Pipelines können mit überschaubarem Aufwand wieder instand gesetzt werden. Und das weckt Begehrlichkeiten.
Laut Medienberichten verhandelt der frühere Stasi-Offizier und Putin-Vertraute Matthias Warnig mit einem Konsortium von US-Investoren über die Inbetriebnahme der Nord-Stream-2-Pipeline – offensichtlich als Teil eines zwischen den USA und Russland ausgehandelten Friedens-„Deals“ mit der Ukraine.
Dies ist besonders beunruhigend vor dem Hintergrund, dass das Insolvenzverfahren der Nord Stream 2 AG in der Schweiz mit Zustimmung der Geldgeber – der bundeseigenen Uniper plus Wintershall Dea, OMV, Engie und Shell – nach Ablauf der gesetzlichen Frist verlängert wurde. Das Gericht verwies in seiner Begründung explizit auf die Bundestagswahlen, „die vermutlich eine maßgebliche Auswirkung auf die Situation der Nord Stream 2 AG haben könnten“.
Jede Unsicherheit mit Blick auf die Pipeline ist gefährlich
Die neue Terminierung der Gerichtsentscheidung für den 9. Mai 2025 spricht somit dafür, dass es begründete Hoffnungen auf eine Wiederinbetriebnahme gibt. Teile der Röhren könnten demnach für den Import von grünem Wasserstoff aus Finnland verwendet werden. Möglich ist aber auch, dass dank US-amerikanischer Investoren, aufgrund eines absehbaren Deals zwischen den USA und Russland oder auch durch politische Entscheidungen in Deutschland Gasimporte aus Russland wieder aufgenommen werden. Laut Medienberichten gibt es sowohl in der SPD als auch in der CDU Stimmen, die sich dafür starkmachen.
Auch wenn sich die alte und die sich abzeichnende kommende Bundesregierung gegen die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ausgesprochen haben, ist jegliche Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft der Pipeline ein Spiel mit dem Feuer. Denn spätere politische Mehrheiten könnten die Abhängigkeit von Russland erneut besiegeln. Dies würde nicht nur die deutsche Wirtschaft wieder in Geiselhaft nehmen, sondern hätte sicherheitspolitische Auswirkungen für ganz Europa.
Das muss die neue Bundesregierung vor Ablauf der Frist für die Gerichtsentscheidung in der Schweiz verhindern. Sie muss ein klares politisches Stoppsignal senden, dass die Pipeline nicht gewollt ist. Und sie muss in Anbetracht der veränderten geopolitischen Lage die bestehende Betriebsgenehmigung infrage stellen. Notwendig ist auch ihr Einsatz für EU-Sanktionen gegen russisches Pipeline- und Flüssiggas - auch gegen den Widerstand Ungarns.
Putin würde die neue Abhängigkeit immer wieder ausnutzen
Eine Rückkehr zu russischem Gas unter dem Regime Putins oder eines anderen Autokraten im Kreml würde allerdings die hart errungene Diversifizierung in Deutschlands Energieversorgung wieder zunichte- und Deutschland und Europa erneut erpressbar machen.
In einer Zeit, in der es mehr denn je darauf ankommt, dass Europa zusammensteht, um seine eigene Sicherheit zu garantieren, wäre ein solches Szenario fatal. Putin könnte und würde die neuerliche Abhängigkeit jederzeit ausnutzen, die Preise erhöhen oder den Gashahn zudrehen. Sie wäre eine regelrechte Einladung, die europäische Landkarte weiter nach seinen Vorstellungen zu gestalten, zum Beispiel in den exponierten baltischen Ländern.
Die logischen Konsequenzen für Deutschland und Europa sind ein klares Nein zu russischem Gas und eine stringente Strategie hin zu größtmöglicher Energiesouveränität. Das bedeutet die Umstellung der Energieversorgung auf heimische Quellen und die rasche Abkehr aller Branchen weg von Erdgas und hin zu Strom. Die Gasimporte müssen weiterhin diversifiziert werden, solange das Gas für industrielle Verfahren und die Wärmeversorgung von Haushalten benötigt wird.
Jeglicher Versuch zukünftiger deutscher Politik, sich erneut in die Abhängigkeit von Putin oder einem anderen autokratischen russischen Führer zu begeben – denn ein demokratischer Wandel Russlands ist nicht absehbar –, wäre nicht nur ein Verrat an den Opfern des russischen Angriffskriegs. Es wäre auch ein Verrat an den Interessen und Werten Europas, der seine Sicherheit, wirtschaftliche Stabilität und strategische Autonomie gefährden würde.
Die Autoren:
Richard Shirreff ist General a. D. und war stellvertretender Nato-Oberbefehlshaber in Europa.
Andris Piebalgs war EU-Energiekommissar und EU-Botschafter Lettlands.
Sabrina Schulz ist Deutschland-Direktorin der European Initiative for Energy Security (EIES).






» Lesen Sie auch: Nord Stream 2 taugt nicht als Verhandlungsmasse – ein Kommentar
Erstpublikation: 24.03.2025, 10:40 Uhr.






