Gastkommentar: Die Anleihemärkte ignorieren die wachsende US-Verschuldung – noch

Der Rückgang der Anleiherenditen in den vergangenen Monaten erweckt den Eindruck, dass Anleger der steigenden US-Staatsverschuldung keine größere Bedeutung beimessen. Gleichwohl: Früher oder später dürfte das Thema Schulden an den Anleihemärkten Wirkung zeigen.
Zwar werden einige der Ursachen, die für das Hochschnellen des US-Haushaltsdefizits im Jahr 2023 verantwortlich waren, entfallen. Allerdings könnten auf längere Sicht größere und dauerhaftere Defizitverursacher hinzukommen – wie etwa steigende Ausgaben für das staatliche Krankenversicherungsprogramm und die Sozialversicherung.
Da ein Gegenlenken der Politik bei der Verschuldung – durch eine Kürzung der Ausgaben oder Erhöhung von Steuern – unwahrscheinlich ist, werden die Märkte für US-Treasuries mit längeren Laufzeiten einen Risikoaufschlag verlangen. Das könnte wiederum zu einer steileren Zinsstrukturkurve führen.
US-Staatsanleihen stellen weiterhin eine wichtige Komponente bei der Vermögensstrukturierung dar
Um eines vorweg klarzustellen: Obwohl die langfristige Verschuldungsentwicklung problematisch ist, glauben wir nicht daran, dass es in absehbarer Zeit zu einer Haushaltskrise in den USA kommen wird. Will heißen: US-Staatsanleihen stellen auch in Zukunft eine wichtige Komponente bei der Asset-Allocation dar.
>> Lesen Sie hier: US-Staatsanleihen: Der weltgrößte Kapitalmarkt steht vor einem radikalen Umbau
Laut dem überparteilichen Haushaltsausschuss des Kongresses erreichte das Haushaltsdefizit der USA im vergangenen Jahr fast zwei Billionen Dollar. Das entspricht 7,5 Prozent des US-Bruttoinlandprodukts (BIP) und ist mehr als das Doppelte des Schnitts der vergangenen 50 Jahre (3,7 Prozent). Die Zahlen zeigen außerdem einen Rückgang der Einnahmen um neun Prozent, während die Ausgaben um elf Prozent anstiegen.
Sicherlich war ein Teil des Defizitanstiegs auf einmalige Faktoren zurückzuführen – nämlich auf eine stärkere Inanspruchnahme von Steuergutschriften aus der Covid-Ära, auf die Unterstützung der Silicon Valley Bank durch die Federal Deposit Insurance Corporation und auf die einmalige Anpassung der Lebenshaltungskosten im Rahmen der staatlichen Rentenversicherungsbezüge.
Doch zu den Haupttreibern des Defizits gehörte auch der stark gestiegene Schuldendienst. Mit mehr als 700 Milliarden US-Dollar erreicht diese Position fast das gleiche Niveau wie der US-Verteidigungshaushalt.
Auf lange Sicht werden die US-Staatsschulden wohl weiter ansteigen
Der Haushaltsausschuss des Kongresses rechnet damit, dass die US-Staatsschulden auf lange Sicht weiter ansteigen werden – von 98 Prozent des BIP im Jahr 2023 auf 172 Prozent im Jahr 2054. Die Zinskosten allein könnten bis dahin auf 6,5 Prozent des BIP anschwellen. Natürlich sind diese Zahlen mit einem Unsicherheitsfaktor behaftet. Aber die grobe Richtung scheint klar, es sei denn, die Politik zeigt in Zukunft deutlich mehr Haushaltsdisziplin.
Ebenfalls besorgniserregend ist die Prognose des Ausschusses, dass die Ausgaben für die staatliche Kranken- und Rentenversicherung sowie für weitere Leistungen bei der Gesundheitsfürsorge bis zum Jahr 2053 von rund 50 Prozent auf mehr als zwei Drittel aller Nicht-Zins-Ausgaben ansteigen werden. Ein Grund dafür ist die alternde US-Bevölkerung.
Zwar bewies das politische Washington zuletzt wieder einen gewissen Sparwillen, wie die Streitereien bezüglich der Schuldenobergrenze zeigen. Ironischerweise ging es bei diesen Auseinandersetzungen aber nur um einen relativ kleinen Teil des staatlichen Haushalts – die sogenannten diskretionären Ausgaben.
Diese müssen vom Kongress jedes Jahr genehmigt werden und umfassen die Ausgaben für die meisten Verteidigungs-, Bildungs- und Verkehrsprogramme. Diese Ausgaben sind zwar notwendig, machen aber nur etwas mehr als ein Viertel des 6,4 Billionen US-Dollar schweren US-Staatshaushalts aus.
Gleichzeitig haben die beiden voraussichtlichen US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und Donald Trump angekündigt, sowohl bei Medicare als auch bei Social Security alles beim Alten zu lassen – auch für künftige Leistungsempfänger. Zudem scheint Einigkeit darin zu bestehen, die Ende 2025 auslaufenden Steuervergünstigungen des „Tax Cuts and Jobs Act“ von 2017 zumindest in gewissem Umfang zu verlängern.
Je nach den Modalitäten könnte das den US-Schuldenberg auf Sicht von zehn Jahren um weitere drei bis vier Billionen Dollar anschwellen lassen. Bedeutende Änderungen auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite sind wohl zumindest bis 2029 unwahrscheinlich.
Unsere Schlussfolgerung: Die Anleihemärkte werden aufgrund der steigenden Staatsverschuldung einen Risikoaufschlag für längerfristige US-Treasuries verlangen. Nichtsdestotrotz dürfte der US-Dollar seinen Status als dominierende Weltwährung beibehalten. Solange US-Staatsanleihen das „sauberste schmutzige Hemd“ im Schrank des globalen Marktes für Staatsanleihen bleiben, dürfte der Renditeanstieg für US-Treasuries allerdings überschaubar bleiben.


Die Autoren:
Richard Clarida war stellvertretender Vorsitzender der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und ist heute Global Economic Advisor für die Investmentgesellschaft Pimco.
Libby Cantrill ist Head of Public Policy bei der Investmentgesellschaft Pimco.





