Globale Trends: Beim Kriegsrisiko ist den Finanzmärkten nicht zu trauen

Es ist nicht nur Donald Trump, der die Welt „am Rande eines Dritten Weltkrieges“ sieht. Kann man bei dem Ex-Präsidenten der USA mit der „Make America Great Again“-Kappe noch vermuten, dass er sich mit seiner Warnung den Amerikanern vor den Wahlen im November als „Weltenretter“ anpreisen will, lassen sich die Warnungen von Eirik Kristoffersen nicht so leicht vom Tisch wischen.
Der Oberbefehlshaber der norwegischen Streitkräfte hält einen Krieg des Westens mit Russland in den nächsten drei Jahren für möglich. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) glaubt, ein Angriff Russlands auf ein Nato-Land sei „innerhalb von fünf bis acht Jahren“ denkbar.
Eine Eskalation der Spannungen zwischen Russland und Europa über den Ukrainekrieg hinaus ist nur eine von mehreren Zündschnüren, die nach Meinung von Experten zum Inferno eines neuen Weltkriegs führen könnten: eine Ausweitung des Konflikts im Nahen Osten mit einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Iran, eine Attacke Nordkoreas auf den Süden der Halbinsel oder eine Invasion Chinas in Taiwan – alles tickende Zeitbomben.
Die steigenden geopolitischen Risiken sind zwar zum Top-Thema auch für Manager und Finanzprofis geworden, die globalen Finanzmärkte lässt die wachsende Kriegsgefahr jedoch bislang offensichtlich kalt. Der Ölpreis ist nach seinem Zwischenhoch im September 2023 um mehr als 18 Prozent gefallen. Der Goldpreis hat sich insbesondere nach der Hamas-Attacke auf Israel deutlich erhöht.
Die Aktien- und Anleihemärkte werden mehr von Zinsentscheidungen, Staatsschulden, Konjunktursorgen und Künstlicher Intelligenz getrieben als von Existenzängsten vor einem nuklearen Armageddon. So richtig beruhigen kann einen das allerdings nicht. Auch als Europa 1914 in den Ersten Weltkrieg stolperte, wurden die Märkte von der Katastrophe auf dem falschen Fuß erwischt.

Damals herrschte die auch heute noch verbreitete Überzeugung vor, dass die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen den führenden Industrienationen einen Krieg praktisch unmöglich gemacht habe. Die „ausgeklügelte Interdependenz“ führe dazu, „dass eine ungerechtfertigte Aggression eines Staates gegenüber einem anderen auf die Interessen des Aggressors zurückfällt“, schrieb am Vorabend des Ersten Weltkriegs der britische Autor und spätere Friedensnobelpreisträger Norman Angell in seinem Buch „The Great Illusion“.
Es stellte sich jedoch heraus, dass Angell selbst der größten Illusion aufgesessen war. Quasi über nacht wurde die damalige Globalisierung durch eine weltweite nationalistische Kriegswirtschaft abgelöst.
Risiken lassen sich kalkulieren, Unsicherheit nicht
Sind wir heute klüger? Spricht man mit professionellen Risikomanagern bei führenden Versicherungen, herrscht dort vor allem Gelassenheit trotz der zahlreichen geopolitischen Brandherde. Man habe genügend Erfahrungen mit Naturkatastrophen, um selbst sogenannte „tail risks“, also Gefahren mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber hohem Schadenspotenzial, in den Griff zu bekommen, sagte Kirsten Mitchell-Wallace vom weltgrößten Versicherungsmarkt Lloyds of London.
Auch hier spielt die Illusion eine große Rolle, man könne grundlegende Unsicherheit mit ökonomischen Modellen kalkulierbar machen. Davor haben schon die Ökonomen Frank Knight und John Maynard Keynes vor 100 Jahren gewarnt.



Während der Amerikaner Knight klar zwischen kalkulierbaren Risiken und unberechenbarer Unsicherheit unterschied, schrieb der Brite Keynes 1921: Die Aussicht auf einen europäischen Krieg sei unsicher, „es gibt keine wissenschaftliche Grundlage, um irgendeine kalkulierbare Wahrscheinlichkeit zu bilden. Wir wissen es einfach nicht.“ Der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat das gleiche Dilemma mit dem Begriff der „unknown unknowns“ auf den Punkt gebracht.
Man sollte die Ignoranz der Finanzmärkte gegenüber den Kriegsrisiken deshalb eher als ein Eingeständnis sehen, dass die professionellen Anleger sich mit der unkalkulierbaren Unsicherheit des Krieges abgefunden haben und lieber auf der Basis dessen handeln, was sie wissen können. Das wiederum bedeutet, dass man den Finanzmärkten nicht trauen sollte, wenn es um Krieg und Frieden geht.
Mehr: Wie Versicherer mit schwer kalkulierbaren Risiken umgehen.








