Gastkommentar: Die betriebliche Altersvorsorge muss zum Investitionsmotor werden
Die Diskussion um die Reform der Alterssicherung in Deutschland nimmt Fahrt auf – und bleibt doch in entscheidenden Punkten erstaunlich vage. Während Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) zuletzt wiederholt die Bedeutung der gesetzlichen Rente betonte, bleibt die betriebliche Altersvorsorge (bAV) in ihren Aussagen ein Randthema. Die bAV ist eine Rentenleistung, die Arbeitgeber für ihre Beschäftigten bereitstellen, oft über Versicherungen oder spezielle Rücklagen.
Das zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz soll zwar Impulse zur Verbreitung der bAV setzen, es ist aber leider nicht die umfassende Reform, die die Betriebsrente dringend benötigt. Dabei liegt gerade beim kapitalgedeckten Sparen fürs Alter ein gewaltiges, bislang ungenutztes Potenzial – nicht nur für die Altersvorsorge, sondern für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.
Was in der politischen Debatte auffällt: Es wird kaum darüber gesprochen, was eigentlich mit den finanziellen Mitteln geschieht, die für kapitalgedeckte Systeme angespart werden. Dabei sind diese Mittel nicht nur Rücklagen für die Zukunft, sondern könnten heute schon als Wachstumsmotor wirken – wenn man sie denn ließe.
Die Bundesregierung hat mit dem „Investitionsbooster 2025“ ein ambitioniertes Programm aufgelegt, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Degressive Abschreibungen, steuerliche Entlastungen und ein gewaltiges Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität sollen auch private Investitionen mobilisieren. Doch die Frage bleibt: Woher kommt das Kapital für diese Investitionen?
Ein Blick auf die bAV zeigt: Allein Ende 2023 beliefen sich die Deckungsmittel, also zur Finanzierung der bAV vorhandenes Vermögen, auf über 725 Milliarden Euro. Bezieht man die berufsständischen sowie kirchlichen und öffentlichen Versorgungswerke mit ein, erhöht sich dieser Betrag auf über eine Billion Euro. Dieses Kapital ist langfristig gebunden, wird institutionell verwaltet und sucht nach stabilen, renditestarken Anlagen. Es wäre geradezu fahrlässig, dieses Potenzial nicht strategisch zu nutzen.
Die Politik muss mutiger werden
Doch regulatorische Hürden bremsen die Investitionskraft der bAV aus. Pensionskassen und kleine Lebensversicherungsunternehmen werden gesetzlich zu konservativen Investments gezwungen. Zwar wurde jüngst eine Infrastrukturquote eingeführt, doch der Effekt bleibt marginal. In Deutschland stark verbreitete Treuhandmodelle zur Finanzierung von bAV unterliegen nicht den strengen Anlagevorschriften, bieten mehr Flexibilität – werden aber bislang kaum als strategisches Investitionsvehikel verstanden. Meist fließt über die Hälfte des Kapitals in festverzinsliche Anlagen, da es kaum Anreize für renditeorientierte Investments gibt. Was für ein Versäumnis!
Die Politik muss hier mutiger werden. Eine Modernisierung der Anlagevorschriften, gezielte Fördermaßnahmen und die Einführung eines staatlich regulierten „bAV-Investitionsfonds“ könnten die Kapitalflüsse in gesellschaftlich relevante Bereiche lenken, etwa in Klimaschutz, Digitalisierung oder öffentliche Infrastruktur. EU- oder staatliche Garantien könnten das Risiko-Rendite-Profil solcher Investitionen verbessern und sie für Versorgungseinrichtungen attraktiver machen.
Auch die Verbreitung der bAV muss endlich ernsthaft angegangen werden. Noch immer verfügen nur rund 54 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über eine bAV-Zusage. Ein „Opting-out“-Modell nach britischem Vorbild, in dem Mitarbeitende automatisch eine bAV erhalten, sofern sie nicht aktiv widersprechen, könnte hier Abhilfe schaffen. Gleichzeitig müssen steuerliche und arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen vereinheitlicht und vereinfacht werden, um insbesondere kleine Unternehmen zu entlasten.
Die OECD fordert längst verpflichtende kapitalgedeckte bAV-Systeme für Deutschland. Denn das Volumen der kapitalgedeckten bAV liegt mit 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland im Vergleich zum OECD-Durchschnitt von rund 50 Prozent deutlich zurück.
Doch statt über Zwang zu diskutieren, sollten wir über Anreize sprechen. Der Umstand, dass eine Erhöhung der Verbreitungsquote auf 65 Prozent zwischen 120 und 150 Milliarden Euro zusätzliches Kapital erschließen könnte, sollte Motivation genug sein. Eine Erhöhung der Ausfinanzierungsquote um nur zehn Prozentpunkte würde weitere 50 bis 60 Milliarden Euro für Investitionen mobilisieren.
Die bAV ist mehr als ein Vorsorgeinstrument. Sie ist ein strategisches Element der Renten- und Investitionspolitik. Wer heute über die Zukunft der Alterssicherung spricht, muss auch über die Zukunft der Kapitalanlage sprechen. Es ist Zeit, die bAV nicht nur als Sicherheitsnetz für die Beschäftigten zu begreifen, sondern als Hebel für eine starke, nachhaltige Wirtschaft.
Der Autor: Gunnar Hasselmann ist Partner Pension Consulting bei PwC.