Gastkommentar: Die Deutschen sind veränderungsmüde

Gäbe es eine Pausetaste für unser Land, viele Menschen würden sie gerade nur zu gern drücken. Sie sind gestresst von immer mehr Aufgaben im Alltag. Sie sind überfordert von der Gleichzeitigkeit der Krisen und Veränderungen um sie herum.
Und sie sind verunsichert, was die Zukunft für Deutschland bringt. Dass mehr als drei von zehn Sachsen und Thüringern die rückwärtsgewandte AfD gewählt haben, muss auch im Kontext dieser zunehmenden Veränderungsmüdigkeit gesehen werden.
Die Gefahren für die Wirtschaft, die sich ohnehin bereits im Stillstand befindet, sind groß. Denn Überforderung kann schnell in Abwehrreaktionen umschlagen. Bei der grünen Transformation schwingt das Pendel bereits zurück.
2021 noch eines der Topanliegen bei der Bundestagswahl, haben Klimaschutz und Nachhaltigkeit für die Bevölkerung heute massiv an Relevanz verloren. Zwei von drei Deutschen sehen darin nach Erhebungen von Civey nur noch eine Art Trend, der an Bedeutung verlieren wird.
Der Stimmungsumschwung hat wirtschaftliche Folgen. Immer weniger Menschen sind bereit, für grüne Produkte einen Aufpreis zu zahlen, ob es sich nun um Lebensmittel handelt, Autos – oder Strom: Die Energiewende ist plötzlich ein Angstthema, wie Civey für die Eon-Stiftung herausgefunden hat. In allen Teilen Deutschlands fürchtet die Mehrheit der Menschen, dass die Maßnahmen zum Klimaschutz sie finanziell überlasten.

Manchem Betrieb geht es nicht anders. Doch es gibt auch viele Unternehmen, die auf einen grünen Kurs umgeschwenkt sind, die Nachhaltigkeit mittlerweile als langfristigen Erfolgsfaktor begreifen und nun ihre eigenen Kunden nicht mehr verstehen.
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Skepsis einfach ignorieren geht nicht
Zwar gibt es keine Pausetaste und die Energiewende ist längst in vollem Gange – übrigens wie die KI-Revolution, der die Bürger ebenfalls ablehnend gegenüber stehen, während sich in den Chefetagen Begeisterung über die Potenziale von KI breitmacht.
Ignorieren kann man das Widerstreben großer Teile der Bevölkerung auf Dauer nicht, zumal es sich in Wahlen niederschlägt und den politischen Konsens verschieben kann: Der zunehmende Unwille nimmt Unternehmen Planungssicherheit, lähmt den Fortschritt und gefährdet Geschäftsmodelle.

Umso mehr müssen wir Unternehmer selbst für die Veränderung werben, an der in unseren Augen kein Weg vorbeiführt. Mit mehr Ehrlichkeit über bevorstehende Kosten sowie einer Debatte, wie diese gesellschaftlich verteilt werden sollen.
Die Menschen spüren zwar, was mit dem Wandel auf sie zukommt, verstehen es aber immer noch zu selten: Was steht für mich auf dem Spiel? Was springt für mich oder meine Region heraus? Einfache Erklärungen wie diese haben sich etwa bei kontroversen Infrastrukturprojekten bewährt. Alles andere schafft lähmende Unsicherheit. Die können wir uns am Wirtschaftsstandort Deutschland nicht leisten.
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