Gastkommentar: Die Machtverschiebung in Frankreich kann zu einer Rückkehr der Euro-Krise führen

In der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen haben die Rechtspopulisten des Rassemblement National (RN) und die linkspopulistische „Neue Volksfront“ gemeinsam knapp 60 Prozent der Stimmen erhalten. Entscheidend ist die Stichwahl am 7. Juli. Es ist allerdings absehbar, dass sich die Machtverhältnisse in Frankreich verschieben. Die neue Parlamentsmehrheit könnte die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Landes grundlegend verändern: Es besteht die Gefahr, dass die ohnehin sehr hohe Staatsverschuldung in Frankreich weiter steigt. Am Ende könnte die Gemeinschaft der Euro-Zone, auch Deutschland, sich gezwungen sehen, die französischen Defizite mitzufinanzieren. Welche Pläne haben die radikalen Wahlsieger?
Frankreichs Neuverschuldung liegt bei 5,3 Prozent des BIP, die Staatsschuldenquote bei 112 Prozent
Die Neue Volksfront will die Staatsausgaben um rund 150 Milliarden Euro in die Höhe treiben. Die von Macron durchgesetzte Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre soll rückgängig gemacht und die Löhne im öffentlichen Dienst sollen um zehn Prozent erhöht werden. Die Zahl der Staatsbediensteten soll wachsen, Schulessen, öffentlicher Nahverkehr und andere gebührenfinanzierte Leistungen sollten gratis angeboten werden.
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Die mit über 57 Prozent der Wirtschaftsleistung schon sehr hohe Staatsausgabenquote würde damit auf rund 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen. Ein Teil dieser Ausgaben soll durch eine Erhöhung von Unternehmens- und Vermögensteuern finanziert werden, der Rest wohl durch Schulden. Man kann davon ausgehen, dass die Umsetzung dieser Pläne Frankreich in eine schwere Wirtschaftskrise führen würde.
Der rechtspopulistische RN will eine eigene Mehrheit schaffen, könnte aber auch die Unterstützung der gemäßigt konservativen Republikaner erlangen. Ein ausgearbeitetes Programm für die Finanzpolitik hat der RN nicht. Jordan Bardella, der Kandidat für das Amt des Premierministers, verspricht den Wählern aber einiges. Die von Macron durchgesetzte Anhebung des Verrentungsalters will er für diejenigen wieder rückgängig machen, die mit weniger als 20 Jahren begonnen haben zu arbeiten. Sie sollen schon mit 60 Jahren in Rente gehen dürfen. Die Mehrwertsteuer auf Strom, Gas, Benzin und Heizöl soll von 20 Prozent auf 5,5 Prozent sinken – sozusagen eine späte Konzession an die Gelbwesten. Wie dies alles finanziert werden soll, sagt er nicht.
Das würde wohl bedeuten, dass diese Leistungen mit neuen Schulden finanziert werden. Die staatliche Neuverschuldung in Frankreich liegt 2024 bereits bei 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Staatsschuldenquote liegt bei 112 Prozent der Wirtschaftsleistung mit weiter steigender Tendenz.
Frankreich könnte ein massiver Verlust des Vertrauens in seine Staatsfinanzen bevorstehen
Was passiert, wenn Macrons Partei tatsächlich mit der Neuen Volksfront kooperiert, um eine Mehrheit des RN zu verhindern, und das erfolgreich ist? Für die französische Wirtschafts- und Finanzpolitik würde das ebenfalls bedeuten, dass Frankreich sein Haushaltsdefizit nicht reduziert, sondern steigert. Die Volksfront wird für diese Kooperation verlangen, dass zumindest ein Teil ihres Programms umgesetzt wird.
Wenn das so kommt: Wie wird sich die verschärfte Verschuldungspolitik auf Frankreich auswirken, und was wären die Folgen für Deutschland und den Rest Europas? Dass schon die Ankündigung übermäßiger Defizitfinanzierung das Vertrauen in die Staatsfinanzen auch großer Industrieländer massiv erschüttern kann, musste die britische Premierministerin Liz Truss im September 2022 erfahren. Nachdem sie trotz bereits hoher Defizite eine Kombination aus höheren Staatsausgaben und Steuersenkungen angekündigt hatte, stürzten die Kurse britischer Staatsanleihen ab. Die Bank von England intervenierte massiv, aber die Lage konnte letztlich nur durch Rücknahme der Pläne und das Abdanken der Premierministerin stabilisiert werden.
Droht Ähnliches in Frankreich? Es wäre erfreulich, wenn der Druck der Finanzmärkte eine destabilisierende Finanzpolitik verhindern könnte. Anders als das Vereinigte Königreich ist Frankreich aber Mitglied der Euro-Zone. Die französische Regierung würde die Europäische Zentralbank (EZB) auffordern einzugreifen. Die EZB würde damit ihr Mandat überschreiten, aber sie hat auch in der Vergangenheit nicht gezögert, in Bondmärkten zu intervenieren und so einzelne Mitgliedstaaten fiskalisch zu stützen.
Ob sie sich dieses Mal dem politischen Druck entziehen könnte und wollte, ist offen. Bei einer RN-Regierung vielleicht eher als bei einem Bündnis zwischen Macron-Partei und Neuer Volksfront. Da eine Finanzkrise Frankreichs kurzfristig die Stabilität des gesamten europäischen Finanzsystems bedrohen würde, gäbe es für Stützungskäufe durchaus gute ökonomische Gründe. Die langfristigen Folgen wären allerdings fatal: Eine populistische Finanzpolitik würde zulasten der Gemeinschaft der Euro-Zone finanziert. Die Euro-Krise wäre zurück, in einer noch bedrohlicheren Variante.
Es mag sein, dass die nächste französische Regierung, wer immer sie stellt, ähnlich wie Giorgia Meloni in Italien moderater handelt als befürchtet. Darauf sollte man sich aber nicht verlassen. All dies verdeutlicht, was allein für die finanzielle Stabilität der Euro-Zone bei den Wahlen am kommenden Sonntag auf dem Spiel steht.





Der Autor:
Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München.
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