Gastkommentar: Erneuerung der Schuldenbremse ja, aber nur mit Konsumbremse
„Wenn ich König von Deutschland wär“, würde ich die Schuldenbremse hassen. Einer der vielen Gründe, warum ich aber nicht König von Deutschland sein wollte: Nach mir kämen andere Könige und die würden wahrscheinlich auch lieber freizügig Geld ausgeben. Daher ist es mir doch deutlich lieber, wenn es eine Schuldenbremse gibt.
Noch wichtiger ist mir allerdings die Schuldenbremse mit demokratischen Parteien und Politikern, die den Menschen Wahlkampf für Wahlkampf versprechen, ihr Leben mit Staatsgeld zu verbessern oder gleich Weltprobleme zu lösen.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Nebenhaushalte der Bundesregierung für verfassungswidrig erklärte, dreht sich die Debatte in unserem Land in allererster Linie darum, ob und wie die Schuldenbremse abgeschafft oder verändert werden sollte. Es geht deutlich weniger darum, ob und inwieweit die Politik ihr Verhalten anpassen müsste.
Unmittelbar nach dem Urteil verkündete SPD-Chef Lars Klingbeil, es könne doch wohl niemandes Absicht sein, bei den „Allerärmsten“ im Land einzusparen. Stattdessen müsste man mit der CDU einen Weg finden, wie man Investitionen für die „Zukunftsfähigkeit“ des Landes sicherstellen könne. Wer will schon die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gefährden? Lieber die Schuldenbremse abschaffen.
Marcus Schreiber ist Gründungspartner und Chief Executive Officer bei TWS Partners. Er verfügt über langjährige Erfahrung im strategischen Einkauf und breites Branchen-Know-how. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich strategischer Einkauf, angewandte Industrieökonomik und Market Design. Außerdem unterstützt er Unternehmen dabei, spieltheoretisches Wissen in komplexen Vergabeentscheidungen anzuwenden.
Allein – wie so oft – lohnt sich ein Blick auf Zahlen und Fakten. Die gesamten öffentlichen Ausgaben aller Körperschaften, inklusive der Sozialversicherungen, stiegen von 2019 bis 2022 von 1,56 Billionen auf 1,93 Billionen Euro. Das sind 370 Milliarden zusätzlich. Die Ausgaben des Bundes stiegen in den Jahren um etwa 140 Milliarden von etwa 340 auf 480 Milliarden.
Trotz höherer Ausgaben keine steigenden Nettoinvestitionen
Obwohl die Zukunftsfragen schon länger bekannt sind, ist trotz des Ausgabenanstiegs seit 2019 kein signifikanter Betrag in zusätzliche staatliche Investitionen geflossen. Im Gegenteil: Die öffentliche Infrastruktur rottet weiter vor sich hin, Bundesbahn und Bundeswehr sind ein Witz und die digitale und ökologische Transformation stockt.
Gerade hat der Wissenschaftliche Beirat im Bundeswirtschaftsministerium in einem Gutachten konstatiert, dass die staatliche Nettoinvestitionsquote in den vergangenen Jahren meist um Null schwankte, während allein die Konsumausgaben des Staates immer weiter wuchsen. Am Geld, das zur Verfügung stand, kann es nicht gelegen haben.
Christian Lindner spricht von 17 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt von knapp 500 Milliarden in 2024 fehlen. Kein Vorstand würde die nächste Aufsichtsratssitzung überleben, wenn er sich nicht im Stande sähe, vier bis fünf Prozent der Unternehmensausgaben einzusparen.
Politiker sparen lieber an Investitionen, nicht an Konsumausgaben
Die Bundesregierung hat noch dazu das Privileg, die Gesetze, die die eigenen Ausgaben definieren, selbst zu gestalten. Wesentliche Ausgaben des Bundes gehen als Zuschüsse an Länder, Gemeinden und Sozialkassen, da diese die Beschlüsse des Bundes umzusetzen haben. Daher hat die Bundesregierung einen viel größeren Hebel als die Bundesausgaben im engeren Sinne.
Wir geben rund 30 Prozent des Bruttosozialproduktes, also rund 1,2 Billionen Euro, für Sozialleistungen aus. So seriös Herr Klingbeil normalerweise ist, zu behaupten, man könne da nicht ein bis zwei Prozent Einsparungen finden, ohne dass „die Allerärmsten“ darunter litten, ist ein Witz.
Die Beiträge der Ökonomen-Gilde über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse lassen sich grob in zwei Gruppen teilen. Einmal die eher theoretischen Makroökonomen, die den Staat und den nicht-existenten weisen König durch die Schuldenbremse des stärksten Instruments, nämlich einer aktiven Fiskalpolitik beraubt sehen. Auf der anderen Seite Mikroökonomen, die eher in Anreizen für einzelne Akteure denken und Politikern fiskalische Handschellen anlegen wollen.
Modernisierung der Schuldenbremse nur bei Konsumausgaben
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium zur Schuldenbremse versucht erfreulicherweise, eine Klammer zwischen beiden Denkrichtungen herzustellen. Es kritisiert zu Recht, dass die bisherige Schuldenbremse nicht in der Lage war, staatliche Konsumausgaben einzudämmen und stattdessen Anreize gab, bei öffentlichen Investitionen zu „sparen“. Schließlich bekamen die Wähler die Folgen nicht unmittelbar zu spüren.
Der Vorschlag des Beirats geht jedoch nur in die Richtung, die Schleuse für eine eng definierte Form an Investitionen unlimitiert zu öffnen. Abgesehen von der Frage, ob sich die enge Definition von Investitionen so klar verteidigen ließe, sehe ich jedoch in dem Gutachten keine Vorschläge, die die Spendierfreude der Politiker bei Wohltaten dauerhaft einschränken würden. Genau da sollten wir aber ansetzen.
Ob Stoltenberg, Waigel, der „eiserne Hans“ Eichel oder Schäuble: Politiker, die in der Lage waren, die Finanzen zusammenzuhalten, waren auf der Popularitätsskala meist ganz oben. Als Verhandlungsexperte sehe ich hier eine fantastische Chance für die Union.
Die Ampel ist auf die Mithilfe der Unionsparteien bei der Modifikation der Schuldenbremse angewiesen, sonst versinkt sie endgültig im Streit. Wenn die Union konstruktiv die Hand für die Modernisierung der Schuldenbremse ausstreckt, die nachhaltige Eindämmung der staatlichen Konsumausgaben aber zur Nebenbedingung macht, profiliert sie sich nicht nur als Partei der seriösen Haushaltsführung.
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Sie schafft auch einen Wall gegen nicht endende Forderungen von möglichen späteren Koalitionspartnern. Angela Merkel hat sich die Koalitionsbeitritte der SPD „erkaufen“ müssen, indem sie zu fast allen deren Wünschen in der Sozialpolitik Ja und Amen sagte.




Herb Cohen, ein Verhandlungspapst aus den USA, empfiehlt in seinem Buch „Negotiate This“, seinem Gegenüber notfalls künstliche Verhandlungshürden zu bauen, hinter denen man sich verstecken kann ohne dabei die Verhandlung persönlich zu belasten. Und künstliche Verhandlungsbürden, die es einem leichter machen unerwünschte Forderungen abzulehnen.
Eine Schuldenbremse, die Jahr für Jahr im Schnitt nur die Hälfte des Wachstums des Bruttosozialproduktes für staatliche Konsumausgaben zulässt, würde nicht nur dem Land dauerhaft helfen, sondern auch die Union kurz- und langfristig in eine starke Position bringen. Als CDU-Chef würde ich der Ampel diese Karotte hinhalten.
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