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GastkommentarEuropa ist mächtig – es muss endlich auch so agieren

Vier ehemalige europäische Spitzenpolitiker skizzieren, was sich in der EU ändern muss. Ein Aufruf zum Handeln von Paolo Gentiloni, Sigrid Kaag, Bruno Le Maire und Klaus Regling. 04.09.2025 - 22:00 Uhr Artikel anhören
Die Autoren (v.l.n.r.): Bruno Le Maire war bis September 2024 Wirtschafts- und Finanzminister von Frankreich. Paolo Gentiloni war bis Ende November 2024 EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung sowie für Steuern und Zollunion.
Sigrid Kaag war von 2022 bis 2024 niederländische Finanzministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. Klaus Regling war bis Oktober 2022 geschäftsführender Direktor des europäischen Rettungsmechanismus ESM. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS, AP, IMAGO/Anadolu Agency, François Bouchon/Le Figaro/laif

Europa ist mächtig, aber es handelt nicht so. In einer Welt, in der Regeln zusammenbrechen und globale Macht zunehmend durch Stärke und Geschwindigkeit definiert wird, bleibt Europa zu langsam, zu fragmentiert und zu vorsichtig. Es gibt nur eine USA, ein China. Es ist Zeit für ein Europa.

Das jüngste US-Zollabkommen ist ein katastrophaler Deal. Es ist eine klare Erinnerung daran, dass wirtschaftliche Stabilität ohne geopolitische Stärke immer gefährdet sein wird.

Investitionen in unsere gemeinsame Verteidigung sind daher unerlässlich und erfordern einen radikalen Wandel. Wir brauchen einen europäischen Verteidigungspakt – initiiert von den Mitgliedstaaten –, der auf gemeinsamer Planung, interoperablen Streitkräften und einer zentralisierten Entwicklung von Fähigkeiten basiert.

Dieser Europäische Verteidigungspakt muss ein Bestandteil der Nato sein. Wir müssen europäisch hergestellte Ausrüstung, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Innovationen priorisieren, die zivile und militärische Sektoren verbinden.

Wir schlagen auch einen gemeinsamen Rahmen für die Bedrohungsanalyse und einen souveränen Europäischen Verteidigungsfonds vor, um langfristige, vorhersehbare Finanzierungen für strategische Fähigkeiten zu sichern. Dafür benötigen wir ein größeres EU-Budget.

Europäischer Investitionsplan mit 750 Milliarden Euro

Europa versäumt es nach wie vor, seine Wirtschaft als Instrument geopolitischer Macht zu nutzen. Um eine Wirtschaft zu schaffen, die den strategischen Interessen Europas dient, schlagen wir einen europäischen Investitionsplan in Höhe von 750 Milliarden Euro vor, der die Produktivität, die Führungsrolle bei KI und den grünen Wandel unterstützt.

Eine Kapitalmarktunion muss bis Ende 2027 abgeschlossen sein – beginnend mit Frankreich, Deutschland und Italien –, um die Finanzmärkte zu vertiefen und private Investitionen freizusetzen.

Ebenso drängen wir auf die Schaffung neuer europäischer Sparprodukte, die privates Kapital in Schlüsselbranchen lenken. Vorschriften wie Basel III und Solvency II sollten gestrafft werden, um Hindernisse für die Finanzierung der realen Wirtschaft zu beseitigen.

Dies bedeutet auch, den Euro zu stärken, damit er zu einer Währung im Zentrum des globalen Handels wird. Wir rechnen mit einem digitalen Euro.

Wir unterstützen eine Erhöhung des Volumens europäischer Anleihen, die mit einer Verringerung der Emission nationaler Anleihen durch die EU-Mitgliedstaaten einhergehen muss.

Schließlich muss sich Europa auch seiner demografischen Realität stellen. Unser Kontinent altert, und ohne entschlossene Anpassungen in unseren Sozialversicherungs- und Steuersystemen werden wir Wachstum, Fairness oder Stärke nicht aufrechterhalten können.

Wir brauchen neue Handelsabkommen

Die globale Verflechtung hat Europa verwundbar gemacht – durch brüchige Lieferketten und erpresserische Taktiken. Um unsere Interessen besser zu verteidigen, setzen wir uns für neue strategische Handelsabkommen mit Afrika, Lateinamerika, Indien und Südostasien sowie für den Beitritt zum Freihandelsabkommen CPTPP ein.

Außerdem brauchen wir ein stärkeres Instrument gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen. Wir fordern eine Chip-Strategie, die eine Bestandsaufnahme des europäischen Ökosystems vornimmt, dessen Unabhängigkeit stärkt und eine auf Innovation und Regulierung basierende KI-Strategie unterstützt.

Die Wettbewerbspolitik muss sich weiterentwickeln, um neue europäische Industriechampions aufzubauen. Die Priorisierung der europäischen Industrie bei Entscheidungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge würde KMU in strategischen Branchen das Wachstum ermöglichen.

Die Wahrung der regelbasierten Weltordnung muss ebenfalls eine zentrale Aufgabe Europas sein. Dies bedeutet, Vertrauen zu stärken und robuste Partnerschaften mit den Ländern des globalen Südens aufzubauen. Europa sollte daher in den globalen Finanzinstitutionen mit einer Stimme sprechen, angefangen mit einem einzigen Vorsitz des Euro-Raums im IWF.

Wir sollten fünf neue Weltklasse-Unis gründen

Um Forscher aus aller Welt anzuziehen und die besten Köpfe Europas zu halten, setzen wir uns für die Gründung von fünf neuen Weltklasse-Universitäten ein.

Wir befürworten die Schaffung eines EU-weit anerkannten „Wittgenstein-Programms“, das darauf abzielt, die Attraktivität europäischer Labore für Postdoktoranden und Forscher zu steigern. Wir wollen einen wirklich integrierten Bildungsraum schaffen, in dem die gegenseitige Anerkennung aller Arten von europäischen Diplomen garantiert wird.

Europa muss selbst gestalten

Die letzte Achillesferse Europas ist die Umsetzung. Ehrgeiz allein reicht nicht – entscheidend ist die Umsetzung. Europa muss handeln statt verwalten: Entscheidungen müssen schneller fallen, klarer sein und näher bei den Bürgern.

Wir brauchen eine klare Aufgabenteilung zwischen der EU und den nationalen Ebenen sowie eine stärkere institutionelle Führung. Deshalb schlagen wir vor, die rotierende Präsidentschaft abzuschaffen und die Rollen des Präsidenten der Kommission und des Präsidenten des Rats zu einer einzigen Führungsposition zusammenzufassen.

Das nächste Kapitel Europas beginnt hier mit Verantwortung, Ehrgeiz und Entschlossenheit. Das Vetorecht muss in Schlüsselbereichen wie der Besteuerung abgeschafft werden. Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten sollte dort begrüßt werden, wo es notwendig ist, damit willige Länder in flexiblen Koalitionen gemeinsam vorankommen können.

Dieser Aufruf ist eine Einladung an alle, die glauben, dass Europa die Zukunft gestalten muss, anstatt von ihr gestaltet zu werden.

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Die Autoren:
Paolo Gentiloni war bis Ende November 2024 EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung sowie für Steuern und Zollunion.
Sigrid Kaag war von 2022 bis 2024 niederländische Finanzministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin.
Bruno Le Maire war bis September 2024 Wirtschafts- und Finanzminister von Frankreich.
Klaus Regling war bis Oktober 2022 geschäftsführender Direktor des europäischen Rettungsmechanismus ESM.

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