Gastkommentar Lehren aus dem Fall Wirecard: Das Oligopol der großen Bilanzprüfer muss gebrochen werden
![Annette Messemer ist Verwaltungsrätin der französischen Konzerne Société Générale, Essilor-Luxottica, Imérys und Savencia und Mitglied diverser Prüfungs- und Risikoausschüsse. Quelle: Societe Generale [M]](/images/die-autorin/26948542/4-format2020.jpg)
Annette Messemer ist Verwaltungsrätin der französischen Konzerne Société Générale, Essilor-Luxottica, Imérys und Savencia und Mitglied diverser Prüfungs- und Risikoausschüsse.
Die Debatte zum Fall Wirecard in Deutschland reißt nicht ab. In der kommenden Woche wird der Deutsche Bundestag über gesetzgeberische Konsequenzen beraten: den Regierungsentwurf zum Finanzmarktintegritätsgesetz (FISG). Im FISG werden die zukünftigen Reformen im deutschen Finanzmarkt nach Wirecard weiter präzisiert, ja verbessert.
Ein Fokus liegt unter anderem auf der Regulierung der Wirtschaftsprüfung. Aus europäischer Perspektive springen diese Reformvorhaben aber immer noch zu kurz und unterliegen der Vorstellung, dass insbesondere eine stärkere Regulierung die Antwort auf den wohl größten Wirtschaftsbetrug der letzten Jahrzehnte ist. Die strukturellen Probleme der Wirtschaftsprüfung – der mangelnde Wettbewerb bei der Prüfung großer Konzerne – werden dagegen nicht angegangen. Eine verpasste Chance.
Die Marktkonzentration unter den Wirtschaftsprüfern ist extrem: Aktuell werden sämtliche Dax-Konzerne von den sogenannten Big Four geprüft – selbst unter Berücksichtigung der weiteren Indizes (MDax, SDax, TecDax) sind es immer noch 92 Prozent. Ähnlich sieht es in den meisten anderen europäischen Ländern aus.
Das FISG bietet die Möglichkeit, dieses Oligopol aufzubrechen, nachdem die 2016 in Kraft getretene EU-Reform der Abschlussprüfung dieses Ziel klar verfehlt hat. Die Marktkonzentration hat sich stattdessen weiter erhöht, eine bedauerliche Fehlentwicklung, insbesondere angesichts der Aktivitäten der EU-Wettbewerbsaufsicht in anderen Bereichen.
Frankreich geht hier einen anderen, einen besseren Weg: Dort sind sogenannte Joint Audits bereits seit 1966 gesetzlich für börsennotierte Unternehmen vorgeschrieben. Bei einem Joint Audit prüfen zwei Gesellschaften ein Unternehmen. Sie teilen sich die Arbeit untereinander auf, sind aber am Ende beide für die Unterzeichnung des Testats verantwortlich.
Diese Regelung hat es in Frankreich mittelständischen Gesellschaften ermöglicht, schrittweise in die Prüfung großer Konzerne einzusteigen. Der Anteil der von den Big Four geprüften Abschlüsse im französischen Leitindex Cac 40 liegt zwar auch bei 83 Prozent. Rechnet man die Indizes Cac Mid 60 und Cac Small dazu, haben sich andere Wirtschaftsprüfer bereits einen Marktanteil von 43 Prozent erkämpft. Joint Audits sind der entscheidende Grund für diese Verschiebung.
Neben dem Aufbrechen des Oligopols haben Joint Audits weitere Vorteile. Sie stellen faktisch eine permanente Qualitätskontrolle durch einen Sparringspartner dar. Bei einem Prüferwechsel bieten Joint Audits einen reibungslosen Übergangsprozess, indem sie die zeitversetzte Rotation der beteiligten Prüfungsgesellschaften ermöglichen. Ein breiterer Pool an Dienstleistern würde außerdem Interessenkonflikte bei den Prüfungs- und Beratungsleistungen reduzieren und die klare Trennung von Prüfungs- und Beratungsgeschäft erleichtern.
Oligopol schadet dem Finanzplatz
Auch in Großbritannien hat die Regierung erkannt, dass die Marktkonzentration der Wirtschaftsprüfer dem Finanzplatz schadet: Bereits 2019 hat die Wettbewerbsbehörde CMA klar analysiert, dass sich diese Marktdynamik nicht ohne einen regulatorischen Eingriff ändern wird. Die CMA sprach sich für die verpflichtende Einführung von Joint Audits aus.
Nach einer Verzögerung durch Brexit und Covid-19 wird sich Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng wohl in Kürze für sogenannte Managed Shared Audits starkmachen: Der Anteil des Zweitprüfers ist anfangs geringer, wird aber schrittweise gesteigert. Auch der britische Ansatz würde eine deutliche Diversifizierung des Marktes bewirken und ist ein wichtiges Signal für die Debatte in Deutschland.
Der aktuelle FISG-Entwurf nimmt die Idee des Joint Audits leider nicht auf. Vor diesem Hintergrund ist es positiv, dass der Bundesrat zumindest die Idee der Förderung freiwilliger Joint Audits einführt. Der Vorschlag, die Rotationspflicht generell auf sechs Jahre zu verkürzen, mit Joint Audits als einziger Möglichkeit zur Verlängerung um vier Jahre, taugt allerdings nicht für die Praxis.
Stattdessen wäre die Verpflichtung zu Joint Audits für Unternehmen von öffentlichem Interesse wünschenswert. Denkbar wäre zum Beispiel eine Verpflichtung der Dax-Familie zur generellen Nutzung von Joint Audits – die Einrichtung eines Goldstandards, der nicht nur Investoren, sondern auch Kunden und Mitarbeitern eine höchstmögliche Sicherheit bieten würde.
Bollwerk gegen kriminelle Machenschaften
In seiner Forderung nach zwei unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat (Rechnungslegung und Abschlussprüfung) verliert sich der Regierungsentwurf dagegen kontraproduktiv im Detail und schießt über das Ziel hinaus. Wichtiger sind Aufsichtsräte mit gutem Verständnis für das Geschäftsmodell und Expertise in der Unternehmensführung (Governance), um die Umsetzung des zukünftig gesetzlich vorgesehenen internen Kontroll- und Risikomanagementsystems zu überwachen.
Moderne Prüfungsausschüsse sind auch Risikoausschüsse und Teil des neuen „Frühwarnsystems“. Gute Corporate Governance ist letztlich das Bollwerk gegen kriminelle Machenschaften und Unregelmäßigkeiten.
Die Autorin ist Verwaltungsrätin der französischen Konzerne Société Générale, Essilor-Luxottica, Imérys und Savencia und Mitglied diverser Prüfungs- und Risikoausschüsse.
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