Gastkommentar: Privates Kapital wird immer mehr zum Treiber der Energiewende

Schellnhuber ist Direktor emeritus des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und heute Mitglied im Beirat bei Aquila. Rentsch ist Co-Founder von Aquila Capital.
Mit Blick auf den Klimaschutz muss man feststellen: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdilemma. Nicht erst mit Greta Thunberg ist das Klimaschutzbewusstsein in der Gesellschaft angekommen. Die Diskussion ist weit länger Thema, als die bemerkenswerte schwedische Aktivistin überhaupt auf der Welt ist.
Aber es ist schlicht zu wenig passiert. Zu wenig in der Politik, den Unternehmen und auch im Handeln der Verbraucher. Keine Frage, in vielen Ländern wurde der Ausbau der Erneuerbare-Energie-Erzeugung in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch dank staatlicher Unterstützung deutlich vorangetrieben. Doch die CO2-Emissionen steigen weiter.
Zwar folgt ein internationaler Klimagipfel auf den anderen, doch das Papier der Beschlüsse ist geduldig. Oftmals liegt schon der Fokus falsch: So wird schwerpunktmäßig vor allem am Verkehr angesetzt. Die Förderung und Verarbeitung fossiler Rohstoffe sowie der Bau und das Beheizen von Gebäuden sind aber die viel größeren Hebel. In manchen Ländern schlägt das klimapolitische Pendel sogar in die entgegengesetzte Richtung aus.
Dennoch gibt es Grund zu verhaltenem Optimismus. Das Umsetzungsdilemma könnte abgebaut werden. Dort, wo die Staaten zu langsam oder zu unentschlossen sind, scheint uns das private Kapital mehr und mehr zum Treiber der Energiewende zu werden, und zwar in doppelter Hinsicht.
Seien es Pensionsfonds, Versicherungen oder Versorgungswerke: Sie erweitern ihre Investmentkriterien und Regularien, um Nachhaltigkeitsaspekte bei ihren Anlageentscheidungen zu berücksichtigen. Das Stichwort lautet Environment Social Governance (ESG).
Dadurch sind schon jetzt viele ehemals beliebte Investmentziele auf die interne schwarze Liste geraten, beispielsweise Unternehmen mit einer nicht den ESG-Kriterien entsprechenden Geschäftspolitik oder nicht nachhaltig entwickelte und betriebene Immobilien.
Erfreulich: Nachhaltigkeit wird vorausgesetzt
Stattdessen erleben wir gerade eine erfreuliche Phase der Normalisierung: Nachhaltigkeit ist aus Sicht vieler Investoren nicht mehr nur „nice to have“, sondern wird erwartet und vorausgesetzt. Damit stehen die Unternehmen unter Handlungsdruck, wollen sie für Investoren attraktiv bleiben.
Zudem sind Erneuerbare-Energie-Anlagen und eine entsprechende Infrastruktur immer stärker in den Anlagefokus institutioneller Investoren gerückt. Einerseits aus ESG-Motiven, aber auch, weil es sich gerade in Zeiten niedriger Kapitalmarktzinsen um attraktive Investments handelt.
Sie sind in gewisser Weise doppelt nachhaltig: ökologisch und ökonomisch – und das immer häufiger ohne staatlichen Flankenschutz. Privates Kapital wird dringend gebraucht, wenn die Energiewende etwa in der Stromerzeugung gelingen soll.
Darauf verweist auch die EU-Kommission in ihrem „European Green Deal“: Rund eine Billion Euro soll in der laufenden Legislaturperiode in den Klimaschutz investiert werden, allein in der Europäischen Union. Und davon, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen völlig zu Recht, muss und wird ein maßgeblicher Anteil von privaten Investoren kommen.
Mit dem „Green Deal“ strebt Brüssel für das Jahr 2050 einen klimaneutralen Kontinent an. Doch Europa allein reicht nicht. Und 2050 ist uns deutlich zu spät. Jedes einzelne Jahr kann entscheidend sein. Als auf der Brücke der „Titanic“ bekannt wurde, dass man sich auf gefährlichem Kollisionskurs befand, hat man ungefähr 30 Sekunden lang gezögert, bevor ein Ausweichkurs eingeleitet wurde.
Situation vergleichbar mit Fieber
Die Kollision hätte sich wohl auch ohne dieses Zögern nicht vermeiden lassen. Aber Aufprallwinkel und -geschwindigkeit wären andere gewesen – und die Folgen vielleicht etwas weniger dramatisch, mit mehr Zeit zum Handeln, etwas weniger Panik und vielleicht mehr Überlebenden.
Nun haben wir heutzutage – trotz der weltweiten Proteste – immer noch keine Panik in Sachen Klimawandel. Dabei ist der Eisberg inzwischen unausweichlich, es geht nur noch um Schadensbegrenzung. Wetterextreme treten bereits jetzt häufiger auf als zuvor, die damit verbundenen Katastrophen von Dürre bis Verwüstung und Überschwemmung sind uns allen erschreckend vertraut.





Die Situation ist vergleichbar mit einem Fieber: Wir könnten eine Erwärmung unserer Körper um zwei Grad kurzzeitig überstehen, auch wenn wir dabei schon einigen Schaden nehmen würden. Langfristig aber steht es um unsere Überlebenswahrscheinlichkeit mit einem dauerhaft hohen Fieber eher schlecht.
Die Erde verhält sich ganz ähnlich. Schon jetzt können wir das Absterben tropischer Korallenriffe nicht mehr aufhalten. Noch aber – und darauf muss eine sehr klare und laute Betonung liegen: noch! – hat der Patient Erde eine Überlebenschance.
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