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Gastkommentar-Serie: Zukunft WasserstoffDeutschland muss beim Thema Wasserstoff die mittelständische Industrie mitnehmen

Die Wasserstoffnutzung stellt den industriellen Mittelstand vor hohe Hürden. Diese müssen beseitigt werden, wenn die Dekarbonisierung gelingen soll, meint Stefanie Kesting. 09.02.2022 - 15:59 Uhr Artikel anhören

Die Autorin verantwortet als Executive Board Member der Neuman & Esser Group die Sparte Energy Solutions mit internationalen Unternehmen, die industrielle Lösungen von der Erzeugung bis zur Nutzung von Wasserstoff anbieten.

Foto: Handelsblatt

Wer sich seit vielen Jahren mit alternativen, emissionsmindernden Technologien beschäftigt, deren Entwicklung vorangebracht und an der Wirtschaftlichkeit gefeilt hat, mag so manchen Luftsprung gemacht haben, als das Thema Wasserstoff plötzlich in aller Munde war.

Die Ankündigungen von atemberaubend hohen Fördermittelsummen und den Wasserstoff unterstützenden neuen Gremien und Regularien überschlugen sich förmlich in den vergangenen zwei Jahren.

Doch in vielen Bereichen, wo Wasserstoff Großes bewirken könnte, ist er bislang noch beinahe unbeachtet. Ein solches Feld ist die Wasserstoffnutzung in der breiten, dezentralen und mittelständischen Industrielandschaft, dem Gros unserer deutschen Wirtschaft.

In Deutschland sollen bis zum Jahr 2030 Wasserstoffanlagen mit einer Gesamtleistung von zehn Gigawatt gebaut werden. Dies wird zu einem signifikanten Anteil über große Anlagen, die mit mehr als 50 Megawatt laufen, umgesetzt werden müssen. Doch solche Anlagen erfordern große Investitionen, benötigen entsprechende Standorte, viele Jahre planerischen Vorlauf und nicht zuletzt eine geeignete Infrastruktur.

2030 ist nur noch acht Jahre entfernt. Dies ist in industriellen Investitionszyklen praktisch „morgen“. Um die Wasserstoffziele in Deutschland zu erreichen, müssen daher dringend auch kleinere, dezentrale und vergleichsweise schnell zu realisierende Vorhaben ermöglicht werden.

Ein Beispiel sind industrielle Wasserstoffanlagen im Bereich von einem bis fünf Megawatt. Diese Größenordnung hat den Vorteil, dass die Anlagen im Containerformat in Industrieparks, Gewerbegebieten oder an mittelgroßen Produktionsstandorten Platz finden und die produzierte Wasserstoffmenge direkt vor Ort verwendet werden kann. Zudem können hier die Interessen mehrerer Unternehmen gebündelt und damit alle Stoff- und Energieströme leichter integriert werden. Also neben dem Wasserstoff auch der Sauerstoff und die produzierte Abwärme, die bei grünen Wasserstoffanlagen (Elektrolyseuren) automatisch anfallen. Das Gesamtsystem wird damit hocheffizient, und die Kapitalkosten können zwischen allen Beteiligten aufgeteilt werden.

Gründe, warum Projekte nicht zustande kommen

Dies eröffnet ein enormes zusätzliches Potenzial. Denn für die breite Masse der deutschen Unternehmen ist ein Umstieg auf Wasserstoff derzeit allein nicht zu stemmen. Mit integrierten Konzepten, die die gesamte Kette von gemeinsamer Wasserstofferzeugung bis zu den verschiedenen Anwendungen in Flottenmobilität, Produktionsprozessen oder sogar der Versorgung von angrenzenden Wohngebieten berücksichtigen, können auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zur Energiewende beitragen.

Diese KMU bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es zum Beispiel etwa 730.600 KMU, was einem Anteil von über 90 Prozent aller Unternehmen in dem Bundesland entspricht. Viele dieser Unternehmen können nur mithilfe des Einsatzes von Wasserstoff klimaneutral werden. Aus mehreren Gründen kommen solche Projekte aktuell aber noch nicht zustande:

    Die preisliche Konkurrenz zu fossilen Energieträgern ist derzeit selbst bei stark optimierten, integrierten Wasserstoffsystemen noch nicht gegeben, folglich gibt es für solche Projekte nicht ohne Weiteres ein Geschäftsszenario. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen stehen die Investitionsvolumina und Risiken eines Umstiegs auf Wasserstoff noch in keinem Verhältnis zum erzielbaren Ergebnis.Hinzu kommt, dass die aktuellen Regularien für die notwendigen Gewerke und Teilbereiche eines Systems zur Herstellung und Verteilung von grünem Wasserstoff oft nicht zusammenpassen oder nicht verlässlich genug für eine im Verhältnis hohe Investition sind. Die oben erwähnten riesigen Summen angekündigter Fördermittel kommen im Mittelstand aktuell so gut wie nicht an. Die Gründe sind vielfältig.Fördermittelanträge sind komplex und anspruchsvoll, sie erfordern bereits einen sehr hohen Detaillierungsgrad der technischen und kaufmännischen Planungen und damit einen hohen Kenntnisstand und Ressourcenaufwand im Vorfeld. Die Prozesse bis zur Genehmigung oder auch nur zum Erreichen der nächsten Antragsstufe sind oft intransparent und verzögern sich unabsehbar: Dies ist leider Gift für unternehmerische Entscheidungen.

Eine Alternative zur Förderung der Investitionssummen sind verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Betrieb und Absatz des erzeugten Wasserstoffs kaufmännisch sinnvoll, das heißt profitabel machen.

>> Lesen Sie hier: Thyssen-Krupp – Entscheidung über Wasserstoff-Börsengang bis Sommer möglich

Hier gibt es über neue europäische Richtlinien (RED II) erste gute Ansätze, über die beispielsweise eine Verwertung von Wasserstoff im Verkehr seit Kurzem wirtschaftlich wird. Dies sollte auch für industrielle Wasserstoffnutzung möglich werden.

Anteil erneuerbarer Quellen zu gering

Die Industrie ist für etwas weniger als ein Viertel der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich, noch vor dem Verkehrssektor mit weniger als 20 Prozent. Das bedeutet, dass es nicht ausreicht, die Energiewirtschaft mit etwa 35 Prozent Anteil an den Emissionen auf erneuerbare Quellen und den Pkw-Verkehr auf batterieelektrische Mobilität umzustellen.

Die Industrie ist für etwas weniger als ein Viertel der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich.

Foto: imago images/Future Image

Allein diese Tatsache sollte Politik und Wirtschaft ein Ansporn sein, kreativ und pragmatisch nach Lösungen zur Überwindung der noch bestehenden Hürden für mittelgroße, industrielle Wasserstoffanlagen zu suchen.

Als Kind der 1970er-Jahre bin ich mit kontroversen Diskussionen zur Zukunft der Energiewirtschaft aufgewachsen. Von den beiden Ölkrisen über geopolitische Fragen, woher wir unser Erdgas beziehen, bis hin zu „Atomkraft – Nein danke!“-Aufklebern auf dem Auto.

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Der große Unterschied zu den vergangenen Jahrzehnten ist aus meiner Sicht, dass wir heute fertig entwickelte saubere Technologien zur Verfügung haben, die jetzt in die Anwendung und Skalierung gebracht werden können und müssen, wenn wir die Klimaziele auch nur annähernd noch erreichen wollen.

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Grenzen wir also vielversprechende und stark zur CO2-Minderung beitragende H2-Geschäftsmodelle nicht vom Wasserstoff-Markthochlauf aus – und sagen wir auch für das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft, der mittelständischen Industrie: „Wasserstoff – Ja bitte!“

Die Autorin: Stefanie Kesting verantwortet als Executive Board Member der Neuman & Esser Group die Sparte Energy Solutions mit internationalen Unternehmen, die industrielle Lösungen von der Erzeugung bis zur Nutzung von Wasserstoff anbieten.

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