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GastkommentarWarum Menschen im Osten stärker zu radikalen Parteien neigen

Das totalitäre Regime der DDR prägt noch heute die Einstellung vieler Menschen im Osten, meint Niklas Potrafke. Studien zeigen: Wer im Westen studiert hat, wählt tendenziell ganz anders. 30.08.2024 - 17:01 Uhr Artikel anhören
Niklas Potrafke lehrt an der Universität München und leitet das ifo-Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. Foto: privat

Nicht erst seit den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg wird in der öffentlichen Debatte diskutiert, wieso die AfD ausgerechnet im Osten so großen Zuspruch bekommt. In den westdeutschen Bundesländern unterstützen deutlich weniger Leute die AfD, nämlich nur etwa halb so viele wie im Osten. Eine Erklärung für die enorme AfD-Lastigkeit im Osten geht auf die sozialistische Sozialisierung und das totalitäre System zurück.

Das Misstrauen im Osten richtet sich gegen staatliche Institutionen und andere Bürger

Forschungsarbeiten der vergangenen Jahre zeigen, dass die Bürger im Osten einander viel weniger vertrauen als die Bürger im Westen. Das Misstrauen im Osten gilt gegenüber staatlichen Institutionen wie auch gegenüber anderen Bürgern. Gesät wurde das Misstrauen vor allem durch das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR (Stasi), das die eigene Bevölkerung bespitzelte. Ein kritisches Wort konnte zu viel sein – man wusste nie, ob das Gegenüber der Stasi angehörte.

Darüber hinaus fördert der Sozialismus in der Theorie zwar die Völkerverständigung, entpuppt sich in der Praxis aber immer wieder als System mit einem markanten Freund-Feind-Denken. Letztlich hatten die Bürger im Osten auch weniger Kontakt zu Fremden als Bürger im Westen.

In unserer Forschungsarbeit vom März 2024 mit dem Titel „Moving Out of the Comfort Zone: How Cultural Norms Affect Attitudes toward Immigration” zeigen wir, wie stark sich das Studium im Osten im Vergleich zum Studium im Westen und damit eine West-Sozialisierung als junge Erwachsene auf die Einstellungen gegenüber Flüchtlingen und Immigration ausgewirkt hat.

Verwendet werden Daten aus den 1990er-Jahren von der AG-Hochschulforschung an der Universität Konstanz, die im Auftrag des Bundesbildungsministeriums seit über 40 Jahren Studierende aus ganz Deutschland befragt. Diese Befragung beinhaltet Einstellungen der Studierenden zu vielfältigen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen. Sie ermöglicht es ebenso, anhand vieler soziodemografischer Merkmale die Biografien der Befragten abzubilden.

Der Westen war Flüchtlingen und Immigration gegenüber stets positiver eingestellt als der Osten

In unserer Studie werden Studierende betrachtet, die alle vor der Wende im Osten groß geworden sind. Einige von ihnen haben nach 1990 im Osten und andere im Westen studiert. Beim Studienort wird auch exogene Variation durch die damals aktive Zentrale Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) ausgenutzt. Die ZVS hat für viele Studienfächer wie beispielsweise Medizin entschieden, wer seinen Studienplatz wo bekommen hat.

Diese ZVS-Studienplatzvergabe ist für die empirische Forschung nützlich, weil sich Studierende in der Regel aussuchen, wo sie studieren möchten. Es findet Selektion statt. Unsere Schlussfolgerungen ändern sich allerdings nicht, wenn wir auch die Studierenden mitberücksichtigen, die ihren Studienplatz nicht über die ZVS erhalten haben.

Die Ergebnisse unserer Studie sind bemerkenswert: Wer im Westen studiert hat, war der Immigration gegenüber viel positiver eingestellt als diejenigen, die im Osten studiert hatten. Besonders groß sind die Effekte für Studierende, die viel Kontakt mit Kommilitonen hatten. Gesellschaftspolitische Werte und Normen der Kommilitonen – im Osten etwas andere als im Westen – haben die eigenen Einstellungen gegenüber Flüchtlingen und Immigration beeinflusst.

Die Bürger im Westen waren Flüchtlingen und Immigration gegenüber positiver eingestellt als die Bürger im Osten – und das hat auf die aus dem Osten zum Studium in den Westen kommenden jungen Erwachsenen abgefärbt. Es ist davon auszugehen, dass sich die im Sozialismus aufgebaute Abneigung im Osten gegenüber Fremden noch heute auf die Einstellung der Menschen auswirkt.

Die Zuneigung zu national-konservativen Parteien der Studierenden im Osten deckt sich gut mit dem heutigen Befund des großen AfD-Zuspruches im Osten.
Niklas Potrafke

Die Studierenden wurden auch nach ihren politischen Einstellungen gefragt, die sich unmittelbar mit den in den 1990er-Jahren aktiven politischen Parteien verbinden lassen. Das Ergebnis: Studieren im Westen hat sich auch auf politische Präferenzen insgesamt ausgewirkt. Wer im Westen statt im Osten studiert hat, war eher den Grünen zugewandt und deutlich weniger national-konservativen Parteien. Die Zuneigung zu national-konservativen Parteien der Studierenden im Osten deckt sich gut mit dem heutigen Befund des großen AfD-Zuspruches im Osten.

Die Abneigung gegenüber Fremden und Flüchtlingen im Osten schließt den Kreis zum großen Zuspruch gegenüber der AfD – und auch dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), welches eine ähnliche Haltung in der Migrationspolitik hat wie die AfD. Der Umgang mit Flüchtlingen und die Immigrationspolitik ist ein wesentliches Motiv, die AfD zu wählen.

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So haben radikale Parteien im Osten aufgrund ihrer Abneigung gegen Flüchtlinge leichtes Spiel. Das totalitäre Regime der DDR und die Bespitzelung der eigenen Bevölkerung wirft einen langen Schatten.

Der Autor:
Niklas Potrafke lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet das Ifo-Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.

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