Gastkommentar: Wie durch globales Handeln Klimaneutralität möglich wird
Die UN-Klimakonferenz COP 28 in Dubai hat wieder einmal deutlich gemacht: Um die Klimakrise zu verhindern und klimaneutral zu werden, sind gewaltige Investitionen notwendig. In allen Staaten – auch in den Entwicklungsländern.
100 Milliarden Dollar pro Jahr haben die Industrieländer dafür an Unterstützung zugesagt, eine Summe, die mit etwas Verspätung jetzt auch erreicht wird. Das genügt jedoch bei Weitem nicht. Der Bedarf an zusätzlicher Finanzierung für Investitionen in Entwicklungsländern dürfte nach dem Bericht einer renommierten Expertenkommission zur letzten Konferenz COP 27 eher bei 1000 Milliarden Dollar pro Jahr liegen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Industriestaaten diese Lücke aus ihren Haushalten schließen werden.
Das ist aber auch gar nicht nötig. Denn für einen großen Teil der Investitionen würden langfristige Kredite zu attraktiven Zinsen völlig ausreichen. Wind- und Solarparks erzielen Einnahmen, ebenso Stromnetze, Wärmepumpen oder Ressourceneinsparung. Sie sind ein „business case“, der sich mit den richtigen Bedingungen rechnen kann. Die natürlichen Voraussetzungen – Sonne, Wind, Fläche – sind in vielen Ländern günstig, und moderne Technologien könnten überall zum Einsatz kommen.
Für Derisking sind konkrete Strategien erforderlich
Leider finanziert der private Kapitalmarkt diese Investitionen nicht einfach so. Kapital ist ein „scheues Reh“, und es scheut vor allem politische Risiken. Wenn in einem Land Regimewechsel, Bürgerkrieg oder Enteignung möglich sind, dann wird dafür keine Finanzierung bereitgestellt. Oder nur zu Zinsen, mit denen sich kapitalintensive Investitionen wie ein Solarpark kaum rechnen. Genau das ist die Lage vieler Entwicklungsländer. In der Klimadebatte wird daher zuletzt viel von „Derisking“ gesprochen – ohne dass bisher eine umfassende Lösung vorliegt.
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Es gäbe aber eine Lösung, und sie ist im Grunde einfach und bekannt: globale Kredite für Investitionen in die Klimaneutralität durch multilaterale Entwicklungsbanken. Dazu gehören die Weltbank, aber beispielsweise auch die Europäische Investitionsbank. Sie sind jetzt schon wesentlicher Teil der Finanzierung für das 100-Milliarden-Dollar-Ziel. Nur ist der Umfang viel zu gering.
Die entscheidende Herausforderung ist ein politischer Konsens in G7 und G20
Angesichts der drohenden Klimakrise geht es nach dem berühmten Zitat von Mario Draghi aus der Finanzkrise um „whatever it takes“: ein globaler Kreditrahmen für Wind- und Solarparks, der sich daran orientiert, was für den Weg zur Klimaneutralität notwendig ist.
Er könnte allen Investoren und Ländern offenstehen, die dazu bereit sind. Private Kapitalgeber werden sich an den Investitionen beteiligen, sobald das Risiko für sie begrenzt wird.
Als Anteilseigner der Entwicklungsbanken spielen Europa und die USA eine führende Rolle, aber auch Länder wie China. Die entscheidende Herausforderung ist also politischer Konsens, der etwa in der G7 und G20 oder zumindest unter den wichtigsten Ländern erreicht werden müsste.
Wenn dies gelingt, dann ist die Umsetzung relativ leicht: Die Staaten geben einen Auftrag an die Entwicklungsbanken, den zusätzlichen Kreditrahmen für die Klimaneutralität umzusetzen, und erhöhen dafür das Eigenkapital dieser Banken. Weitere Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) könnten die Strategie flankieren.
Ziel ist es, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in großem Stil in die Entwicklungsländer zu bringen
Sollte man so viel Macht in die Hände von Akteuren wie Weltbank oder IWF legen? In den 1970er- und 1980er-Jahren waren sie in Teilen der Welt berüchtigt für Reformen, die sie Ländern gegen deren Willen aufgezwungen haben.
Aber hier geht es nicht um Zwangsreformen, sondern um ein wirtschaftlich attraktives Angebot, das Wertschöpfung und Arbeitsplätze in großem Stil in diese Länder bringen kann, das von den großen Industriestaaten unterstützt und unter den Augen der Welt umgesetzt wird.
Natürlich gibt es finanzielle Risiken, zum Beispiel wenn ein Windpark nach einem Umsturz wie vor einiger Zeit im Niger scheitert. Bei kluger Ausgestaltung sind die Risiken aber weitaus geringer, als man befürchten mag. Erstens bestünde ein globales Investitionsportfolio für Klimaneutralität aus Tausenden Projekten in allen Teilen der Welt.
Einzelne Ausfälle können – wie bei einer normalen Bank – verkraftet werden, solange die allermeisten Projekte gelingen. Zweitens wird es sich jede Regierung – auch eine neue – gut überlegen, ob sie mit Weltbank, IWF und den größten Staaten der Welt in Konflikt geraten will.
Ganz umsonst wird es sicher nicht, und vor allem politisch nicht einfach. Aber möglich ist es. Und vielleicht die einzige Chance, um die Welt vor der Klimakatastrophe zu retten.



Die Autoren:
Bodo Linscheidt ist Leiter der Unterabteilung Digitalisierung, nachhaltige Konsum- und Produktpolitik, Ressourcenschonung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).
Achim Truger ist Professor für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft.
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