Gastkommentar: Wie sich die Wirtschaft gegen rechts außen stemmen kann
NGOs, Politiker, Verfassungsschützer und Wissenschaftler warnen seit Jahren vor dem Aufstieg antidemokratischer Strömungen in Deutschland. Aus Unternehmenskreisen blieb es, abgesehen vom Engagement einiger beachtenswerter Bündnisse sowie einiger Wirtschaftsverbände und Unternehmen, jedoch lange merkwürdig still. Über die Ursachen für dieses lang anhaltende Schweigen sowie hinsichtlich des nun eruptiven Engagements vieler Unternehmen gegen Rechtsextremismus kann bisher nur spekuliert werden.
Sind die Unternehmensführer jetzt aufgewacht und wollen dazu beitragen, die liberale Demokratie und den Wirtschaftsstandort Deutschland vor den Ultrarechten zu schützen? Oder sind die vielen öffentlichen Statements der Unternehmens- und Verbandsvertreter das Äquivalent zur Regenbogenflagge, die Unternehmen vor allem dann gern schwenken, wenn ihre Botschaft sowieso schon längst dem Zeitgeist ihrer wichtigsten Anspruchsgruppen entspricht?
Forschung zum unternehmerischen Engagement für Menschenrechte bietet eine erste Orientierung
Wir wissen es nicht, denn belastbare wissenschaftliche Studien, die die Motiv- und Gesinnungslage der deutschen Wirtschaftsakteure im Hinblick auf den erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland erhellen, sind Mangelware. Doch ebenso wichtig wie die Ursachenforschung ist das „Wie“ des politischen Engagements von Unternehmen. Wie sollen sich Unternehmen gegen rechts außen stemmen?
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Leider informiert die gegenwärtige traditionelle Betriebswirtschaftslehre zu diesen Themen nur ungenügend. Hilfreich in dieser Situation ist der Blick in die ungleich weiter entwickelte wirtschaftsethische Forschung zum unternehmerischen Engagement für Menschenrechte. Unternehmen, die in Autokratien tätig sind und sich trotzdem – oder deswegen – für Menschenrechte einsetzen, teilen viele der Herausforderungen, mit denen sich Unternehmen im Kampf gegen den Rechtsextremismus konfrontiert sehen: die normative Bestimmung der eigenen Verantwortung, der Zeitpunkt für das Engagement, die Effektivität der gewählten Strategien, die Furcht vor politischen Repressalien bei zunehmendem Einfluss der Autokraten und Extremisten.
Es gilt zu überlegen, wann, wie oft und in welcher Form es sinnvoll ist, sich politisch einzubringen
Sowohl bei ihrem internationalen Einsatz zur Verteidigung von Menschenrechten als auch bei der nationalen Verteidigung der liberalen Demokratie sollten Unternehmen den Zeitpunkt ihres Engagements genauer bestimmen. Auch wenn jede einzelne nicht widersprochene menschenverachtende Aussage eines Rechtsextremen eine zu viel ist, können sich Manager nicht ständig in die Tagespolitik einmischen.
Sinnvoller ist die Bestimmung des Zeitpunkts für das unternehmerische Engagement an den Dimensionen „eigener Einfluss“ und „Dringlichkeit“. Je stärker der eigene Einfluss als Unternehmen und je größer die Dringlichkeit des Themas, je konkreter wird der Handlungsbedarf.
Wenn diese Fragen geklärt sind, können grundsätzliche Strategien des politischen Engagements abgeleitet werden. Bei geringem eigenen Einfluss und geringer Dringlichkeit bietet sich eine nicht konfrontative Strategie an. Unternehmen können sich in diesen Situationen dennoch engagieren, beispielsweise indem sie zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen. Ist der Einfluss eines Unternehmens hoch, kann es sich im ansonsten gleichen Szenario direkter etwa mit Aufklärungs- und Bildungskampagnen nach innen und außen einbringen. Steigt die Dringlichkeit zum Handeln, können auch Unternehmen mit geringem Einfluss sich zu Kollektiven zusammentun oder bereits existierenden Bündnissen beitreten.
Für Unternehmen mit großem Einfluss ist in diesem Szenario der Zeitpunkt der direkten Konfrontation gekommen – sie können Extremisten öffentlich und durch ihre Netzwerke die Stirn bieten, sich zugleich positiv für wichtige Werte in einer Demokratie aussprechen.
Wenn sich Unternehmen in dieser Form gegen Extremisten und Populisten einsetzen, sollten sie allerdings auch die Konsequenzen einkalkulieren: Einige Mitarbeitende wird das Engagement ihres Arbeitgebers motivieren, andere Beschäftigte wiederum kann ein Engagement abschrecken.
Außerdem sind im Falle von Wahlsiegen der Extremisten und Populisten politische Abrechnungen möglich. Aus Ungarn, Polen und aus den USA wissen wir, dass sich regierende Populisten an ihren politischen Gegnern durch offensichtlichen Klientelismus revanchiert haben. Dieser Klientelismus und ein Abrechnen mit den politischen Gegnern nach Wahlerfolgen ist typisch für Populisten.
Doch eines ist klar: Unabhängig von der strategischen Ausgestaltung des unternehmerischen Engagements ergibt sich durch die aktuelle Situation in Deutschland eine sehr gute Möglichkeit für jene Unternehmensführer, die schon lange eine grundsätzliche normative Frage beantworten wollten: Welche politische Verantwortung trägt mein Unternehmen zur Verteidigung einer offenen Gesellschaft und für die Entwicklung der Demokratie?
Die Autoren:
Markus Scholz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Dresden.
Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen.
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