Gastkommentar: Wie Zeitdruck als Hebel in Verhandlungen funktioniert


Der Transfer von Thomas Tuchels Wunschspieler João Palinha zum FC Bayern ist gescheitert.
Die vergangenen Tage waren Festtage für deutsche Sportjournalisten, die, so deren gefühlte Selbsteinschätzung, im Nachhinein allesamt die besseren Manager und klügeren Verhandler wären als das gesamte Führungsteam des FC Bayern. „Bayern-Fiasko“, „Transfer-Desaster“, „verpokert“ schallte es durch die Medien.
Was war passiert? Am sogenannten „Deadline Day“, dem letzten Tag, an dem Spielerwechsel in der englischen und deutschen Profifußballliga erlaubt sind, scheiterte der Transfer von Thomas Tuchels Wunschspieler João Palinha trotz grundsätzlicher Einigung der beiden Klubs in den letzten Minuten, weil der abgebende FC Fulham die finale Unterschrift doch verweigerte.
Das Ganze wurde umso dramatischer, da die Bayern im Vertrauen auf die Neuverpflichtung am Tag vorher gestandene Nationalspieler verkauft hatten. Wenn so viele Details einer Verhandlung an die Öffentlichkeit geraten, ist das aus der Sicht von Verhandlungsprofis an sich schon ein Problem, aber, um es positiv zu sehen, auch eine wunderbare Gelegenheit, daraus etwas zu lernen.
Verbindliche Deadline hilft Verhandlern
Der Hauptvorwurf, der den Bayern-Oberen gemacht wurde: dass sie bis kurz vor Ablauf des Transferfensters mit den Neuverpflichtungen gewartet und sich damit dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt hätten.
Völlig abgesehen davon, dass man für weitere Neuverpflichtungen auch erst Einnahmen erzielen wollte, kann eine heruntertickende Uhr auch eine Verhandlungswaffe sein. Wie eine nicht vorhandene beziehungsweise weit entfernte Deadline Verhandler in Probleme bringen kann, zeigt nämlich eine andere Transaktion des FC Bayern.
Sie hatten Harry Kane, den Mittelstürmer der englischen Nationalmannschaft, als strategische Verstärkung für die kommende Saison ausgemacht und sind frühzeitig auf dessen Verein Tottenham zugegangen. Kein Thema füllte das Sommerloch der Sportgazetten mehr als der mögliche Wechsel von Kane zum FC Bayern.
Das aber machte es den Bayern sehr schwer, aus der Nummer wieder herauszukommen. Wenn sie 65 Millionen Euro boten, war klar, dass sie auch 70 oder gar 75 Millionen bieten würden für den erklärten Wunschspieler. Tottenham war das bewusst. So kam dann am Ende die kolportierte Rekordablöse von 100 Millionen Euro zustande. Die Bayern versuchten sogar, eine selbst auferlegte Deadline einzuziehen, indem sie ihr Angebot befristeten. Aber diese Ankündigung war nicht glaubwürdig.
In der Spieltheorie sagt man, sie war „nicht nachverhandlungssicher“. Nach Ablauf der künstlichen Deadline hat niemand sie davon abgehalten, trotzdem wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wären die Bayern bereit gewesen, den Kane-Deal notfalls scheitern zu lassen, hätte ihnen der Deadline Day als Verhandlungsinstrument sogar geholfen.
Meine eigene Lektion
Ohne mir der Macht von harten Verhandlungsstopps bewusst zu sein, erhielt ich dazu vor über 20 Jahren eine Lehrstunde von meinem damaligen Chef bei Siemens. Ein wichtiger Geschäftspartner, mit dem wir endlose Verhandlungen führten, wie wir die Last der Wechselkursschwankungen aus der Euro-Einführung fair aufteilen könnten, hatte mein Team zum Europameisterschaftsspiel Deutschland-England in Belgien eingeladen.
Ich ging zu meinem Chef, um zu fragen, ob wir diese Einladung annehmen könnten. Er meinte nur: „Fahrt hin und verhandelt. Wenn ihr ein akzeptables Ergebnis habt, könnt ihr Fußball schauen und feiern. Wenn nicht, setzt euch unmittelbar ins Auto und fahrt noch während des Spiels nach Hause.“
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Eineinhalb Tage vergingen vor Ort in Belgien, ohne dass sich irgendetwas bewegte in der Verhandlung. Irgendwann meinten unsere Gastgeber, dass wir langsam zum Stadion aufbrechen müssten.
Nachdem wir der Gegenseite klargemacht hatten, dass wir gar nicht die Freiheit hätten mitzukommen und dass sie definitiv unser Wohlwollen verlieren würden, wenn sie uns in Kenntnis der Rahmenbedingungen während des Spiels auf die Autobahn schicken würden, erreichten wir in 18 Minuten, was zuvor in 18 Monaten nicht möglich war.
Mit dem Scheitern leben können
Aber wie erzielt man diesen Effekt, wenn man weder ein vorgegebenes Verhandlungsende noch eine EM-Einladung samt klugem Chef hat? Ich empfehle immer, der Gegenseite ein gerade noch akzeptables „Take it“-Angebot vorzulegen.
Wichtig ist dabei, es mit einem verbindlichen „Oder“ zu kombinieren, sodass daraus ein „Take it or“-Angebot wird. Das „Oder“ beschreibt dann die Konsequenzen, die eintreten werden, wenn die Gegenseite das Angebot eben nicht annimmt. Dies kann zum Beispiel das Ende einer Exklusivitätsphase in einer Verhandlung sein oder die Änderung der Ausschreibungsspezifikation, sodass ab diesem Zeitpunkt Konkurrenten eine bessere Chance haben.
Wichtig ist dabei, dass die Konsequenzen bei Nichtannahme der Gegenseite wehtun und verbindlich sind. Der Verhandlungspartner wird es sich in solchen Situationen sehr genau überlegen, ob er ein Angebot annimmt oder lieber mit den kommunizierten Konsequenzen eines Neins lebt.
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In der Praxis hapert es leider oft gewaltig daran, erstens ein glaubwürdiges „Oder“ festzulegen, und zweitens, dieses dann auch durchzuziehen. Zu oft scheint es verlockender, Konsequenzen nur anzudrohen, diese dann aber nicht zu implementieren.
Im Geschäftsleben, in dem man sich in der Regel zweimal sieht und schon deshalb Reputation eine Rolle spielt, wird das Gegenüber sehr schnell lernen, dass es gegebenenfalls nur eine leere Drohung war, der keine Taten folgen. Fazit: Ein Verhandler muss mit dem Scheitern leben können. Je klarer das dem Gegenüber ist, je mehr der Markt das wahrnimmt, umso geringer wird auf Dauer das Risiko des Scheiterns.
In der Geschichte von Unternehmensakquisitionen findet man unzählige Manager, die für ihren Abschluss als „Dealmaker“ gefeiert wurden und die ihren Nachfolgern dann eine Dauerbaustelle hinterlassen haben. Für mich ist eine gescheiterte Verhandlung, zumal wenn sie im Licht der Öffentlichkeit stattfindet, kein Zeichen von Dilettantismus, sondern vielmehr von Rückgrat.
Wer jede Verhandlung zum Abschluss bringen möchte oder muss, weil er von Chefs oder Aufsichtsrat keine Rückendeckung zum Neinsagen bekommt, muss letztendlich fast alles mitmachen.
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Und so kann es auch nur hin und wieder einen Harry-Kane-Deal geben, bei dem man sich von der Gegenseite vorführen lassen musste, weil der Transfer bekanntermaßen die Säule der Kaderplanung war.



Umso wichtiger ist das Selbstverständnis der Bayern, bis zur Wiedereröffnung des Transferfensters im Dezember notfalls auch ohne Palinha gut durch die Bundesliga und die Champions-League-Gruppenphase zu kommen und weitere Verstärkungen als gute Option, aber keinesfalls als „Muss“ anzusehen.





