Pro und Contra: Draghis Bazooka – Fluch oder Segen?

Vor einem Jahr machte EZB-Chef Draghi den Weg frei für eine geldpolitische Bazooka. Über ihren Nutzen sind Experten geteilter Meinung.
Düsseldorf. Es waren nur wenige Worte, die für eine Wende in der Euro-Krise sorgten. Vor einem Jahr steigen die Zinsen für spanische Staatsanleihen auf neue Höchststände – weit über ein Niveau, das auf Dauer tragbar wäre. Spanien und Italien drohen im Teufelskreis aus steigenden Zinsen, einer Rezession und neuen Schulden zu versinken. Immer mehr Ökonomen spekulieren offen über einen baldigen Zerfall des Euro.
Dann hält Mario Draghi in London die Rede, die alles ändert. Seine unmissverständliche Botschaft: Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten. Sehnsüchtig hatten die Märkte auf diese Worte gewartet. Sie reagieren prompt: Der Euro legt kräftig zu, die Aktienkurse steigen und die Zinsen für Staatsanleihen der Euro-Krisenländer fallen drastisch.
Erst einige Wochen später präzisiert Draghi seine Pläne. Mit dem Anleihekaufprogramm OMT soll die EZB im Notfall unbegrenzt Anleihen der Krisenländer aufkaufen. Anders als zuvor, legt sie sich dabei aber keine Grenzen auf.
Draghi bekommt für seinen Schritt politische Rückendeckung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stützen ihn. Auch der EZB-Rat trägt seine Entscheidung mit großer Mehrheit mit. Nur Bundesbank-Chef Weidmann stimmt gegen das OMT-Programm. Seine Bedenken sind grundsätzlich. Anleihekäufe seien ein Rechtsbruch und unvereinbar mit dem Mandat der Zentralbank.
Auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer gehört zu den Kritikern des Anleiheprogramms. Er befürchtet, dass es den Reformdruck auf die Krisenländer mindert. Das Beispiel Italiens zeige, dass der Reformwillen eingeschläfert worden sei.
Ein Befürworter des OMT-Programms ist der Deutschland-Chef des Anleiheinvestors Pimco, Andrew Bosomworth. Er hält es für ein legitimes Mittel, um Zeit für Reformen zu kaufen.
Wer hat Recht? Ein Pro und Contra.

Andrew Bosomworth leitet das deutsche Portfoliomanagement des US-Anleiheinvestors Pimco.
„Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Mit diesen Worten kündigte EZB-Präsident Mario Draghi vor einem Jahr das OMT-Programm der EZB zum Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt an. Eine richtige Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt.
Die Europäische Währungsunion ist nicht nur ein Wirtschaftsprojekt sondern auch ein politisches Projekt, dessen Wurzeln tief in der Vergangenheit Europas verankert sind. Der Euro ist sowohl unser gemeinsames Zahlungsmittel als auch die Verkörperung der Integration und des Friedens unter den 333 Millionen Einwohnern im gemeinsamen Währungsraum. Aber der Euro ist auch ein unvollendetes Projekt, solange die einheitliche Geldpolitik nur unzureichend von der Fiskalpolitik unterstützt wird.
Das OMT-Programm ist die geldpolitische Antwort, Zeit zu kaufen, bis die Politik eine entsprechende fiskalpolitische Lösung schafft. Andernfalls wären höchstwahrscheinlich Mitgliedsstaaten Südeuropas Bankrott gegangen und die Währungsunion würde nicht in ihrer heutigen Zusammensetzung bestehen. Kein Zweifel: Griechenland ist insolvent und wird wohl einen weiteren Schuldenerlass benötigen. Aber dies ist kein Grund, aus einem Liquiditätsproblem bei Spanien und Italien ein Solvenzproblem zu machen, das nicht nur durch den wirtschaftlichen Zustand dieser Mitgliedstaaten verursacht ist, sondern auch durch einen Konstruktionsfehler der Währungsunion selbst.
„Scheitert der Euro, scheitert Europa“ sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2011, wohl auch da sie die Bedeutung von Systemwechseln wie dem Ende des Sozialismus von 1989 versteht. Mit dem Auseinanderbrechen des Euros wäre es ebenfalls zu einem Systemwechsel gekommen. Das Integrationsprojekt wäre frühzeitig beendet worden und das politische Kapital, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs in die Integration Europas investiert wurde, wäre vernichtet worden.
Geldpolitik kann als gesinnungsethisch oder verantwortungsethisch betrachtet werden. Die Gesinnungsethik orientiert sich vorrangig an den Konsequenzen einer bestimmten Handlung – wohingegen Verantwortungsethik die Handlungsalternativen miteinbezieht und das tatsächliche Ergebnis in den Vordergrund stellt. So ist auch die Einführung des OMT-Programms zu bewerten.
Während das Primärmandat der EZB die Sicherung von Preisstabilität ist, kann mangelnde Finanzstabilität dieses Primärmandat gefährden. Während das OMT-Programms möglicherwiese auf den ersten Blick nicht unmittelbar innerhalb des von der EZB eng definierten Mandats der Preisstabilität angesiedelt zu sein scheint, hat das Programm doch die Stabilität des Eurosystems als solchem temporär gesichert und den wichtigen Übertragungskanal der Geldpolitik am Leben erhalten. Aus verantwortungsethischen Gründen war die EZB deswegen befugt, mit dem OMT-Programm die Konstruktionsfehler der Währungsunion zu überbrücken, um sowohl Preisstabilität als auch die Stabilität der europäischen Gesellschaft vorübergehen zu sichern und der Politik dadurch Zeit zu kaufen, um eine tiefgreifende Kurskorrektur einzuleiten.

Jörg Krämer ist Chefvolkswirt Commerzbank AG und Leiter der Abteilung Research.
Das OMT-Programm taugt aber nicht als dauerhafte Antwort auf die Eurokrise. Das Versprechen, den Euro mit der Geldpresse zu retten, mag verantwortungsethisch kurzfristig geboten scheinen, droht aber längerfristig negative Folgen zu haben, da es den Druck der Märkte auf die Regierungen zu handeln abgemildert hat und dadurch der Politik scheinbar falsche Anreize setzt. Es gilt jedoch zu bedenken, das der Handlungsspielraum der Politik nur scheinbar erweitert wurde. Die Politik hat lediglich die Wahl zwischen freiwilligen Reformen unter Wahrung von zumindest teilweiser Souveränität außerhalb des OMT-Programms, oder vom Markt erzwungenen Reformen unter weitreichender Aufgabe der Souveränität innerhalb des OMT-Programms. Wenn die Mitgliedsstaaten nicht von sich aus die Initiative zu Reformen ergreifen, werden die Märkte das Instrument OMT nutzen um die Einigung Europas voranzutreiben, was die Konstruktionsfehler aus der Gründungszeit der Währungsunion beheben wird.
Mit dem OMT-Programm hat Mario Draghi dem Euroraum erfolgreich ein Jahr Finanzmarktstabilität erkauft, ein Jahr Zeit für die Regierungen, ihre gemeinwirtschaftlichen und politischen Probleme zu beheben. Und die Regierungen haben während dieser Zeit tatsächlich etliche Fortschritte erreicht. Die Außenhandelsungleichgewichte in Südeuropa sind im Wesentlichen abgebaut worden und die ersten Bausteine einer Bankenunion sind gelegt. Aber der Integrationsprozess muss fortgesetzt werden, um nachhaltig die Stabilität des Euros zu sichern.
Eine Währungsunion aus unterschiedlichen Volkswirtschaften erfordert, dass die Mitgliedstaaten Subsidiarität und Eigenverantwortung wahrnehmen. Ein höheres Maβ an Arbeitsmarktflexibilität muss erreicht werden, die Effizienz des öffentlichen Sektors erhöht und der Privatsektor durch Bildung, Bürokratieabbau und die Vereinfachung des Steuersystems gestärkt werden. Nur so können wir unsere Produktivität erhöhen. Das gilt nicht für alle Mitgliedstaaten in gleichem Maße aber als grundsätzliche Leitlinie. Ich bin überzeugt, dass eine gemeinsame Fiskalpolitik langfristig nötig sein wird, um den Euro zusammenzuhalten. Über diesen Schritt sollten die Bewohner der Eurozone durch eine Volksabstimmung befragt werden. Für diejenigen Mitgliedstaaten, die dafür stimmen, sollte ein Bundessenat gegründet werden, der über einen gemeinsamen Haushalt F entscheidet. Das mag undenkbar erscheinen, aber vor einigen Jahren war es auch undenkbar, dass Mitglieder des Euroraums einmal am Rande der Zahlungsunfähigkeit stehen, Kredite umschulden und ein EZB-Präsident versprechen würde, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten.
Seit der Londoner Rede Draghis vor einem Jahr sind die Staatsanleihenrenditen der Krisenländer deutlich gefallen, privates Kapital floss zurück in den Süden und zumindest an den Märkten spricht kaum noch jemand von einem Auseinanderfallen der Währungsunion. Das OMT-Anleihekaufprogramm der EZB hat bisher zweifelsohne gewirkt. Aber langfristig erschwert es eine Lösung der Staatsschuldenkrise.
Die Krisenländer wissen, dass die EZB sie im Fall der Fälle ohne große Auflagen mit der Notenpresse rauspauken würde. Zwar sagt die EZB, dass sie Staatsanleihen eines Landes nur dann kauft, wenn sich dieses vorher an den ESM-Rettungsfonds gewandt und seine Auflagen erfüllt hat. Aber nicht alle Instrumente des ESM sind an strikte Auflagen gebunden. Um beispielsweise Kreditlinien vom ESM zu erhalten und sich so für EZB-Anleihekäufe zu qualifizieren, muss ein Land lediglich die meist laxen Auflagen der EU-Kommission zum Abbau übermäßiger volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte und Haushaltsdefizite erfüllen.
Damit nimmt das Anleihekaufprogramm unbeabsichtigt Druck von den Krisenländern, ihre Hausarbeiten zu machen und die eigentlichen Ursachen der Staatsschuldenkrise zu lösen. Zugegebenermaßen gilt dies nicht für Spanien, das seinen Arbeitsmarkt trotzdem liberalisiert und seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit zurück gewonnen hat.
Aber in Italien, dem größten Staatsanleihemarkt im Euroraum, hat das Anleihekaufprogramm der EZB den Reformwillen wohl endgültig eingeschläfert. Der damalige Ministerpräsident Monti hat keine nennenswerte Arbeitsmarktreform durchsetzen können, weshalb die Lohnstückkosten weiter zu stark steigen und die Wettbewerbs- und Steuerkraft Italiens hemmen. Während des Wahlkampfes im Frühjahr haben Reformen keine wesentliche Rolle mehr gespielt, die Politiker haben sich darauf verlassen, mit der EZB im Rücken unverwundbar zu sein. Statt die dringend notwendigen Reformen der öffentlichen Verwaltung und des Arbeitsmarktes anzugehen, setzte die neue Regierung unter Ministerpräsident Letta die Immobiliensteuer aus und verschob die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das Haushaltsdefizit Italiens dürfte in diesem Jahr eher steigen als wie versprochen fallen – das legen die deutlich höheren Defizitzahlen der ersten fünf Monate dieses Jahres nahe.



Statt die EZB einspringen zu lassen, wäre es weniger problematisch gewesen, wenn die Regierungen des Euroraums den ESM-Rettungsschirm ausreichend munitioniert hätten, um im Fall der Fälle auch Italien glaubhaft Schutz bieten zu können. ESM-Kredite müssen explizit von den Parlamenten beschlossen werden, werden von den Wählern kritisch beäugt und stellen eine höhere Hürde dar als das Finanzieren von Staatsausgaben mit der Notenpresse, das erst einmal niemandem weh tut.
Am besten wäre es natürlich gewesen, wenn die Krisenländer ihre wirtschaftlichen Probleme eigenverantwortlich angegangen wären – so wie es die baltischen Staaten während der Finanzmarktkrise mit Erfolg getan haben.





