Prüfers Kolumne Ehrliches Feedback? Nein, danke

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Ich höre sehr gerne Lob und nicht so gerne Kritik. Heute streben ja alle angeblich nach „ehrlichem Feedback“. Aber ganz ehrlich – ich pfeife darauf.
Jeder Satz, der mit „ehrlich gesagt“ anfängt, kann meinetwegen sofort abgebrochen werden. Leute, die „ehrlich gesagt“, sagen, wollen etwas Negatives loswerden. Und sie meinen, es würde für das Gegenüber angenehmer, wenn sie betonen, dass sie es wirklich „ehrlich“ meinen. Warum nur?
Im Grunde wird es dadurch ja nur schlimmer. Ich werde doch lieber wegen meiner Arbeit kritisiert, weil jemand innerlich vor Neid kocht und sich deswegen kein nettes Wort herausschrauben kann, als dass ich jemanden vor mir habe, der trotz allem Goodwill zu der Überzeugung gelangt ist, dass das, was ich abgeliefert habe, vollkommener Mist ist. Das mag zwar stimmen, aber was hilft diese Erkenntnis denn weiter?
Aus Fehlern lernen?
Es wird von der Wissenschaft angezweifelt, dass Menschen tatsächlich aus ihren Fehlern lernen. Die Psychologinnen Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach von der University of Chicago haben in „Psychological Science“ geschrieben, dass die Mechanik umgekehrt sei: Scheitern würde verängstigen – und eher die Erfolge ermutigen, zu lernen. Ich habe kein Interesse daran, verängstigt zu werden. Ein gelogenes Lob ist mir also meist angenehmer als aufrichtige Kritik.
In der Süddeutschen Zeitung habe ich gelesen, dass die Wissenschaft sich nun mehr und mehr für die Kraft des Lobes interessiere. Ein Wissenschaftsteam der Booth University Chicago habe gemessen, wie lange sich Menschen über freundliche Bemerkungen freuen. Das Ergebnis war: Menschen, die Komplimente machen, glauben oft, dass sich die Adressaten des Lobes gar nicht darüber freuen.
Zu Unrecht: Wer gelobt wird, freue sich darüber – auch noch nach dem fünften Mal. Eine Lobkultur ist jeder Fehlerkultur überlegen. Das Lob ist eine nimmer versiegende Ressource.
Leider bleiben viele Komplimente unausgesprochen. Ich bin mir sicher, darunter sind auch einige Komplimente an mich, die die Kollegen einfach nur nicht auszusprechen wagen, weil sie vermuten, ich würde mich wohl nicht so sehr darüber freuen. Dabei liegen sie ganz falsch.
Gesteigerte Leistung und ein stimuliertes Belohnungssystem
Ich habe auch gelesen, was Komplimente alles Gutes bewirken können. Sie helfen, die Leistung zu steigern, sie helfen beim Lernen, sie helfen, Bindungen zu festigen, sie stimulieren das Belohnungssystem des Gehirns. Und dabei kosten sie nichts. Ich hätte natürlich auch sehr gerne eine gesteigerte Leistung, erleichtertes Lernen, gefestigte Bindungen und ein stimuliertes Belohnungssystem.
Wenn ich recht darüber nachdenke, werde ich stinksauer, dass ich das von meinen Kollegen nicht bereitgestellt bekomme. Was denken die sich eigentlich dabei, all ihre Komplimente einfach für sich zu behalten, anstatt sie mit mir zu teilen? Ich bin schwer enttäuscht. Ich glaub, ich sag denen das direkt mal.
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