Prüfers Kolumne „Für Entscheidungen ist mein Gehirn verantwortlich, aber ich hab leider die Adresse nicht“

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Ich würde gern sagen, dass ich das hier aus freiem Willen schreibe. Aber so einfach ist das ja nicht mit der Freiwilligkeit. Zum Beispiel gibt es einen Termin, an dem dieses Stück geschrieben sein muss. Es gibt Redakteure, die mir freundliche E-Mails schreiben, wenn ich den Text nicht rechtzeitig abliefere. Ich mag freundliche E-Mails, deswegen liefere ich regelmäßig spät ab. Allerdings weiß ich, dass freundliche E-Mails oft die Vorboten von unfreundlichen E-Mails sind, die mag ich nicht, deshalb schreibe ich dann meistens doch noch rechtzeitig einen Text.
Vielleicht war es auch keine freie Entscheidung, überhaupt das Geld dadurch zu verdienen, Texte zu schreiben. Offen gesagt, wäre es eine wesentlich freiere Entscheidung gewesen, Bundespräsident zu werden. Aber zu Letzterem fehlt mir jegliche Eignung. Außerdem ist eine Karriere mit Berufsziel Bundespräsident alles andere als sicher, noch unsicherer als in der Medienlandschaft. Häufig muss man dafür Sachen machen, auf die kaum jemand Lust hat, wie Kanzleramtschef sein oder Außenminister.
Auch ist man mitunter schon nach fünf Jahren seinen Job wieder los. Auch ein Problem: Viele ehemalige Bundespräsidenten finden danach keine adäquate Anstellung mehr. Also wurde ich lieber Journalist – gezwungenermaßen.
In der „Welt am Sonntag“ habe ich nun gelesen, dass es mit dem sogenannten freien Willen ohnehin nicht weit her ist. Neurowissenschaftler vermuten, dass sogenannte bewusste Entscheidungen eine reine Illusion sind. Das Gehirn entscheide schon, bevor wir bewusst wahrnehmen würden, dass wir etwas entscheiden.
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Demnach ist das Bewusstsein also nichts anderes als eine Konstruktion des Gehirns, die dem Individuum tatsächlich schon getroffene Entscheidungen schlüssig erscheinen lassen soll. Der Neurowissenschaftler Peter Halligan bezeichnet das Bewusstsein im Journal „Frontiers of Psychology“ als „eine träge, passive, persönliche Erzählung“: Eine Entscheidung, die im Gehirn schon längst durch alle Instanzen ist, wird im Bewusstsein demnach noch einmal mit Pomp in Szene gesetzt.
Mich persönlich befreit diese Information von vielem. Ich werde ständig Sachen gefragt wie: „Warum hast du das gemacht?“ oder „Was hast du dir dabei eigentlich gedacht?“. Künftig kann ich antworten: „Keine Ahnung, ich bin hier nur das Bewusstsein, für Entscheidungen ist mein Gehirn verantwortlich, ich hab aber leider die Adresse nicht.“ So einfach ist das. Demnach ist das Bewusstsein tatsächlich so eine Art Frank-Walter Steinmeier des Gehirns. Offiziell der Chef von allem, aber letztlich ohne jede Entscheidungsgewalt. Ich bin also doch noch Bundespräsident geworden.
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