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Prüfers KolumneVom Bürgeramt ins Darknet getrieben

Wer einen Pass verlängern will, braucht einen Onlinetermin. Doch wie soll man an so einen kommen? Die Möglichkeiten: kein Schlaf – oder Illegalität.Tillmann Prüfer 26.03.2022 - 09:45 Uhr Artikel anhören

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.

Foto: Handelsblatt

In meiner Stadt gibt es ein Bürgeramt. Braucht man zum Beispiel einen Reisepass, muss man dort hin. Früher ist man einfach reinspaziert und hat sich ins Wartezimmer gesetzt. Das geht leider nicht mehr. Man muss vorab online einen Termin buchen. Ich frage mich, was die Menschen machen, die nicht sehr geschickt darin sind, irgendwas über das Internet zu buchen. Die kommen leider nicht mehr ins Amt. Sie können dann offenbar keine Pässe mehr verlängern, und wer weiß, vielleicht hören sie dann einfach irgendwann auf zu existieren.

Ich brauche bald einen neuen Pass. Einen neuen Pass beantragt man am besten dann, wenn der alte noch lange gültig ist und man vage plant, in den kommenden Jahren den Schengen-Raum zu verlassen. Ein Reisepass ist wegen dieser Möglichkeit ein wertvolles Gut, deswegen wollen ihn viele Menschen haben. Und deswegen hat man seine liebe Mühe, einen Termin auf dem Amt zu bekommen.

Jedes Mal, wenn ich die Anmeldeseite aufrufe, sind alle „Slots“ bereits weg. Es muss einen Zeitpunkt geben, an dem neue Termin freigegeben werden, aber diesen Zeitpunkt kenne ich nicht.

Manche sagen, am Vormittag gebe es neue Kontingente, ich habe aber auch gehört, dass immer kurz vor Mitternacht neue Termine ausgegeben werden. Andere Quellen wiederum sprechen von den frühen Morgenstunden.

Egal, wann dieser Zeitpunkt ist, andere kennen ihn offenbar im Gegensatz zu mir. Es müssen regelrechte Schwärme auf neue Termine lauern und diese umgehend wegschnappen wie hungrige Karpfen. Ich kann nicht den ganzen Tag lauern und schon gar nicht die ganze Nacht. Ich brauche meinen Schlaf. Was sind das für Menschen, die diese ganze Zeit haben? Arbeiten die denn nicht? Und was bedeutet das für die Zukunft?

Ein Land treibt seine Bürger in die Kriminalität

Wenn künftig nur noch Menschen reisen können, die die Nächte durchmachen oder nicht arbeiten müssen – was bekommt man dann im Ausland für ein Bild von Deutschland? Ein Land der Nachteulen und Feierbiester, der Dauerfreizeitler und Privatiers?

Und was wird passieren, wenn Menschen wie ich nicht mehr in den Urlaub fahren können, weil mir die dafür notwendigen Papiere fehlen? Ich prophezeie, dass es großen sozialen Unfrieden geben wird, wenn Menschen, die ganz normal arbeiten, nicht mehr das Land verlassen können.

In der Lokalzeitung habe ich den Hinweis gelesen, dass es einen Notdienst gebe: Wenn Pässe (angeblich) gestohlen worden seien, könne man einfach beim Bürgeramt am Tresen vorsprechen und neue Dokumente verlangen. Das würde aber doch bedeuten, dass ich eine Straftat vortäuschen muss, damit ich überhaupt gehört werde. Ein Land treibt seine Bürger in die Kriminalität.

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Aber vielleicht sind die Behörden ja selbst schon dort angelangt. Ein Bekannter meinte, es wäre viel einfacher, einen Termin zu buchen, wenn man einen Darknet-Browser benutze. Das hätte ich mir wohl denken können, dass es Termine nur auf dem Schwarzmarkt des Internets gibt. Wo sonst? Vermutlich bin ich der Letzte, der das erfährt. Der letzte rechtschaffene Bürger, der sich noch im legalen Teil des Webs umhertreibt.

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