Prüfers Kolumne: Zu schüchtern für die Karriere

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Angeblich tun schüchterne Menschen der Wirtschaft gut. Diese Leute wollen einfach ihre Arbeit machen, zum Wohle ihres Arbeitgebers. Aber sie müssen sich immer wieder mit den Nichtschüchternen herumschlagen.
Die sind laut und allgegenwärtig. Sie reißen ihre Klappe in der Konferenz auf, obwohl sie eigentlich nichts zu sagen haben. Und wenn jemand anderes etwas sagt, dann wiederholen sie es. Einfach weil sie der Meinung sind, dass eine Wahrheit, wenn sie aus ihrem Munde gesprochen wird, noch wahrer wird.
Die Nichtschüchternen sagen ansonsten viel, was nicht zwingend gesagt werden müsste, und auch vieles, was nicht gesagt werden sollte. Zum Beispiel, weil es Unsinn ist. Wenn man mit der entsprechenden Lautstärke unterwegs ist, ist einem im Betrieb die Aufmerksamkeit gewiss.
Als Nichtschüchterner ist man immer bereit, die Stille im Raum mit der eigenen Stimme zu füllen, während andere noch nachdenken und versuchen, einen ernsthaften, vielleicht sogar klugen Gedanken zu entwickeln. Eigentlich ersparen sie damit auch allen Kolleginnen und Kollegen viel Arbeit. Man kann aufhören zu denken, das Großmaul hat schon eine Lösung parat.
Es wird nun geraten, eigens introvertierte Menschen einzustellen, wegen der Diversität. 20 bis 30 Prozent aller Menschen sollen Introvertierte sein. Darunter sind natürlich auch außerordentlich fähige Leute. Nur leider haben die bei Vorstellungsgesprächen schlechtere Chancen. Denn Vorstellungsgespräche sind die Biotope extrovertierter Menschen. Und die Menschen, die Vorstellungsgespräche führen, entsprechend eher extrovertiert.
Introvertierte sollen gefördert werden
Diese Extrovertierten, die Labertaschen, Küsschenverteiler und Schulterklopfer machen die Welt unter sich aus. Aber was ist mit den Menschen, die nicht so gern mit Menschen zu tun haben? Die „Welt am Sonntag“ zitiert eine Beraterin von McKinsey: „Die Bedeutung von Introversion wurde lange unterschätzt.“ So würde man bei der Unternehmensberatung inzwischen darauf achten, bei Leistungsbeurteilungen keine Persönlichkeitspräferenzen wie „meidet Augenkontakt“ zu verwenden.


Damit möchte man die Introvertierten nicht länger von der Karriere ausschließen. Schließlich könnten sie gute Führungspersönlichkeiten sein: Sie haben kein Problem damit, andere glänzen zu lassen. Vielleicht sogar einen anderen Introvertierten.
Das Problem ist nur, wie man diese introvertierten Spitzenkräfte finden kann. Man muss wohl darauf achten, wer in Bewerbungsgesprächen nur auf den Boden guckt oder auf Fragen so leise antwortet, dass man nichts verstehen kann. Ob man bei der Rekrutierung erfolgreich war, erkennt man später daran, wenn in der Brainstorming-Runde endlich einmal niemand etwas sagt.
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