1. Startseite
  2. Meinung
  3. Global Challenges
  4. Der Standort Deutschland braucht keine Subventionen, sondern Reformen und Pragmatismus

Gastkommentar – Global ChallengesDeutschland braucht keine Subventionen, sondern Pragmatismus

Die Stärke der US-Wirtschaft liegt in ihrer Dynamik. Berlin sollte sich ein Beispiel daran nehmen und Innovationen, Gründungen und Bildung fördern, mahnt Volker Wieland. 03.08.2023 - 04:00 Uhr Artikel anhören

Volker Wieland ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Monetary and Financial Stability an der Goethe-Universität Frankfurt.

Foto: Audi, PR

Viele Deutsche sind alarmiert: US-Präsident Joe Biden zahlt Milliardensubventionen, um die deutsche Industrie über den Teich zu locken, während die deutsche Wirtschaft in die Rezession rutscht. Wirtschaftsminister Habeck beruhigt: Schuld seien nur der Ukrainekrieg und die gestiegenen Energiekosten. Mit Industriestrompreis und Milliardensubventionen werde Deutschland die Krise schon wuppen.

Besser als Beruhigungen wäre allerdings ein Blick darauf, welche Werte diesseits und jenseits des Atlantiks seit der Jahrtausendwende geschaffen wurden. Auf den ersten Blick hat sich Deutschland gut geschlagen: Die Wirtschaftsleistung ist von 2000 bis 2021 kaufkraftbereinigt um 25 Prozent gewachsen. 

Die industrielle Wertschöpfung ist um 32 Prozent gestiegen. Die deutsche Industrie hat also bei Weitem den größten Wachstumsbeitrag geliefert, gut sieben Prozentpunkte.

Die US-Industrie ist seit dem Jahr 2000 um 40 Prozent gewachsen

In den USA ist das Bruttoinlandsprodukt in der Zeit aber um 50 Prozent gewachsen - doppelt so viel wie bei uns. Die Wertschöpfung in der Industrie hat dort um 40 Prozent zugelegt. Gamechanger war jedoch der Sektor Information und Kommunikation, er hat sich verdreifacht. Viele der jetzt größten Unternehmen existierten im Jahr 2000 noch gar nicht. Dieser Sektor lieferte den größten Wachstumsbeitrag mit gut zehn Prozentpunkten.

Es stimmt also weder, dass die US-Industrie abgebaut hat, noch, dass Subventionen eine Trendwende eingeläutet hätten. Der Anteil der Industrie an der US-Wirtschaftsleistung sinkt, weil andere Bereiche, insbesondere hochproduktive Dienstleistungen, sehr viel stärker zugelegt haben.

Zudem ist die Zahl der Gründungen in den USA seit 2019 um 50 Prozent gestiegen, getrieben vor allem vom Onlinebereich.  

Wärmepumpen und Wasserstoff werden in Deutschland kein Wirtschaftswunder entfachen

In Deutschland hingegen wackelt das wichtigste Standbein schon länger. Die Industrieproduktion hat ihren Höhepunkt 2018 erreicht, seitdem ist die industrielle Wertschöpfung um vier Prozent gefallen. Zuerst hat die Autoindustrie gelitten, jetzt sind es energieintensive Industrien.

Kolumne „Global Challenges“
Global Challenges – die Idee
Redaktion

Zudem fehlt in Deutschland eine dynamischere Entwicklung anderer Branchen. Information und Kommunikation sind in den vergangenen zwei Dekaden zwar gewachsen, haben aber nur rund 3,5 Prozentpunkte zum Wachstum beigesteuert. Aktuell stagniert die Wirtschaft oder schrumpft. 

Die Misere allein Russland anzulasten ist verfehlt. Wärmepumpen statt Gasheizung und Wasserstoff statt Erdgas werden kein neues Wirtschaftswunder entfachen

>> Lesen Sie auch: Habeck und Lindner lehnen Konjunkturpaket ab

Es gilt vielmehr, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands grundlegend zu stärken und neue Wachstumskräfte zu entfesseln. Ziel muss sein, dass das bisher erfolgreiche Standbein Industrie neue Kraft schöpft und die Chancen steigen, dass andere Branchen explosiv wachsen.

Für die Industrie heißt dies, nicht Symptome mit Subventionen zu maskieren, sondern die Probleme bei der Energieversorgung, wegen der hohen Steuer- und Abgabenlast, der überbordenden Bürokratie und des Fachkräftemangels anzugehen.  

Dass Unternehmen auch heute in Deutschland rapide wachsen können, zeigt der Erfolg von Biontech bei der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen. Große Innovationen werden eben nicht am Schreibtisch im Bundeswirtschaftsministerium entdeckt.

Statt Unternehmen zu subventionieren, sollte Berlin Innovationen, Gründungen und Bildung fördern

Es hilft nicht weiter, mit Milliardensubventionen einigen „Champions“ die Kosten für eine Produktionsstätte weitgehend abzunehmen. Verfügbare Mittel sollten das Umfeld für Spitzenforschung und Innovationen, für neue Technologien, Start-ups und Unternehmensgründungen, für Bildung und Investitionen in Humankapital aufwerten.  

Gefordert ist radikaler Pragmatismus in Gesetzgebung und Verwaltung. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, wir könnten Wohlstand und Beschäftigung, Klima-, Umwelt-, Arten-, Daten- und Nachbarschaftsschutz ohne Zielkonflikte maximieren. 

Dies muss schon die Gesetzgebung berücksichtigen und priorisieren. Aktuell bremst überzogener Datenschutz neue digitale Geschäftsmodelle aus. Perfekter Umweltschutz und Not in my backyard"-Proteste verhindern den Ausbau von erneuerbaren Energien und Netzinfrastruktur.

In der Umsetzung gilt es Gerichts-, Planungs-, Genehmigungs- und Verwaltungsverfahren massiv zu beschleunigen. Dafür muss die Regulierung vereinfacht und müssen Verfahren weitgehend automatisiert werden.

Atomkraft und Schiefergasförderung wären pragmatische Lösungen für die Energiekrise

Pragmatismus bei Energieversorgung und Klimaschutz heißt, CO2-arme Technologien möglichst stark und effizient zu nutzen. Kernkraftwerksbetrieb, Schiefergasförderung sowie CO2-Abscheidung und -Speicherung zu erlauben ist für andere Länder einno-brainer" und würde den deutschen Staat erst mal gar nichts kosten.

Als zentrales Klimaschutzinstrument auf den CO2-Preis zu setzen und den Handel mit Emissionszertifikaten auf Gebäude und Verkehr auszuweiten würde Emissionen kostengünstig reduzieren und zusätzliche Einkünfte bringen. Die wiederum könnten genutzt werden, um die Infrastruktur auszubauen und Anreize für Innovationen und Investitionen in erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu schaffen.

Der Standort Deutschland braucht keine Symptombehandlung, sondern eine pragmatische Angebotspolitik.

Verwandte Themen Rezession Deutschland Wirtschaftspolitik Industriepolitik Umweltschutz Konjunktur

Der Autor:
Volker Wieland ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Monetary and Financial Stability an der Goethe-Universität Frankfurt.

Mehr: Löhne, Gewinne, Zukunftschancen – Die USA hängen Europa ab.

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt