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BildungEstland macht vor, wie man dem Fachkräftemangel vorbeugt

Dank einer guten Kita-Infrastruktur verfügen alle estnischen Kinder bei Schuleintritt über die nötige Lernfähigkeit, berichtet Gastautorin Uta Meier-Gräwe. Das macht sich später bezahlt. 03.09.2024 - 09:39 Uhr Artikel anhören
Auszubildende in der Industrie: Die schwachen Lernerfolge deutscher Schüler behindern ihren Eintritt in die Arbeitswelt. Foto: dpa

Fast die Hälfte der Berliner Drittklässler kann laut dem Schulvergleichstest Vera kaum lesen und rechnen. Auch zu viele Kinder in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg scheitern an den Mindeststandards beim Lesen, Schreiben und Rechnen, vor allem, wenn sie in bildungsfernen Stadtteilen wohnen. Die Freiburger Schuldezernentin Christine Buchheit schätzt, dass dort mindestens jedes zweite Kind dringenden Förderbedarf hat.

Wir reden hier von der Generation, die in zehn bis 15 Jahren in den Arbeitsmarkt eintreten wird – oder auch nicht. Denn ohne Schulbildung werden die dann jungen Erwachsenen keinen Job finden. Das bedeutet nichts Gutes für eine Gesellschaft, in der gleichzeitig die große Generation der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden wird.

Uta Meier-Gräwe war bis 2018 Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Beraterin der Bundesregierung. Ihr aktuelles Buch mit Ina Praetorius „Um-Care: Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert“ basiert teilweise auf den Kolumnen der Autorinnen im Handelsblatt. Foto: Gleichstellungsbüro Freiburg

Schon 2001 schockierte ein Schülervergleichstest: Damals hatten deutsche Schüler beim weltweit größten Test „Pisa“ unterdurchschnittlich abgeschlossen. In Deutschland löste dies eine bildungspolitische Grundsatzdebatte aus, die Politik versprach eine Schulreform. Tatsächlich aber hat sich die Lage seitdem nicht verbessert, sondern vielerorts weiter verschlechtert.

Da lohnt der Blick in das europäische Land, das im jüngsten Pisa-Test am besten abgeschnitten hat: Estland. Das Land im Baltikum gilt als Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Im Klassenzimmer setzt es aber weiterhin auf analoges Lernen, erklärte die estnische Bildungsministerin Kristina Kallas kürzlich in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Der Lehrer müsse eine soziale Interaktion mit den Kindern eingehen, sagte sie. Außerhalb des Unterrichts könne man digitale Werkzeuge jedoch einsetzen, um das Lernen zu erleichtern. Die Verwaltung werde dadurch erleichtert, dass alle Schul- und Bildungsdaten auf einer einzigen digitalen Plattform zugänglich sind.

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Entscheidend für den bildungspolitischen Erfolg ist laut Kallas auch, dass Kinder in Estland im Alter von eineinhalb bis sieben Jahren eine Kita besuchen können, die von 7:30 Uhr bis 18 Uhr geöffnet hat. Die Gebühren für sie sind niedrig.

Ab dem dritten Lebensjahr gehen 95 Prozent aller Kinder dorthin und erwerben vor allem soziale Fähigkeiten: „Wie verhalte ich mich in einer Gruppe?“ Das pädagogische Personal verfüge über ein Hochschuldiplom, ein Fachkräfteproblem gäbe es im estnischen Erziehungssektor nicht, weil dieser Beruf bestens bezahlt wird. Auf eine offene Stelle kämen neun Bewerbungen.

Damit werde erreicht, dass Kinder aus Flüchtlingsfamilien mit Eintritt in die Schule der Sprache vollständig mächtig seien. Kommen sie erst in einem höheren Alter nach Estland, gibt es für sie ein zweisprachiges System. So geht Bildung und Standortsicherung!

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Anfang Juli streikten die Kita-Mitarbeiter in Berlin, um ähnlich vorteilhafte Arbeitsbedingungen für sich zu erwirken. Auch die Wirtschaft sollte mehr Druck ausüben, um endlich bundesweit eine verlässliche und hochwertige Bildungs- und Betreuungsstruktur zu schaffen. Ziel sollte die Überwindung des Fachkräftemangels sein, aber auch eine längst überfällige Aufwertung von Care-Berufen.

Erstpublikation: 02.09.2024, 11:06 Uhr.

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