Gastkommentar – Homo oeconomicus: Ein Pflegegipfel im Kanzleramt ist überfällig
Uta Meier-Gräwe war bis 2018 Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Beraterin der Bundesregierung.
Foto: Gleichstellungsbüro FreiburgIm August 2020 – also nach der ersten Coronawelle – legte die Bundesärztekammer einen Zehnpunkteplan für ein effektives Krisenmanagement vor.
Dort heißt es, dass Kliniken Einrichtungen der Daseinsvorsorge und keine Industriebetriebe seien, die sich ausschließlich an Rentabilitätszahlen ausrichten könnten. Krankenhäuser müssten den Patienten dienen, nicht dem Profit.
Gleiches gilt selbstverständlich auch für andere Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, zum Beispiel für Altenpflegeheime.
Obwohl diese Position der Spitzenorganisation der Ärzteschaft bundesweit auf eine breite Zustimmung trifft, läuft unter dem Radar und kaum bemerkt von der Öffentlichkeit eine ganz andere Nummer: Private-Equity-Firmen haben auch im Corona-Jahr 2020 mit dem Geld zahlungskräftiger Investoren kleinere Krankenhäuser, Rehabilitationskliniken und Altenpflegeheime aufgekauft und zu größeren Einheiten fusioniert – mit dem Ziel, sie bald mit hohem Gewinn weiterzuverkaufen.
Sie erzeugen gnadenlosen Kostendruck und verhindern damit gute Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Pflegesektor. Inzwischen befinden sich 44 Prozent der Altenpflegeheime in privater Trägerschaft. Demgegenüber sinkt der Anteil der freigemeinnützigen Träger, zu denen auch Caritas und Diakonie gehören. Kommunale Altenheime haben mit 3,5 Prozent bereits „Orchideenstatus“.
Vollmundige Ankündigungen, kaum Taten
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte bereits 2018 betont, dass zweistellige Renditen für Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften nicht die Idee der sozialen Pflegeversicherung seien. Deshalb stünde eine gesetzliche Begrenzung von Renditen von privaten Trägern an, bei denen Investoren beteiligt sind. Passiert ist bis heute nichts.
Inzwischen wissen wir, dass vollmundige Ankündigungen ein Markenzeichen des Gesundheitsministers sind. Als Stichworte mögen das desaströse Impfdebakel und die Selbsttestmisere genügen. Deshalb sind private, einzig an möglichst hohen Renditen interessierte Finanzinvestoren auf dem Gesundheits- und Pflegemarkt ungebremst auf dem Vormarsch.
Deren Interessenvertretung, der Bundesverband der privaten Anbieter sozialer Dienste, hat begrüßt, dass die Dienstgeberseite der Caritas einen allgemeinen Tarifvertrag in der Pflege abgelehnt hat. Warum aber lässt sich die Caritas für das schmutzige Geschäft des renditeorientierten Geschäftsgebarens in der Pflege einspannen? Man wolle am „Wettbewerb der Tarifwerke“ festhalten.
Was für ein Zynismus! Und wie weit weg ist das von der Idee der „katholischen Soziallehre“?
Nicht zuletzt durch diese Fehlentscheidung, die auch innerhalb der Caritas für Empörung gesorgt hat, spitzt sich die Carekrise in Deutschland weiter zu.
9.000 Pflegekräfte haben im letzten Jahr gekündigt; bundesweit fehlen 200.000. Wen es vor allem trifft? 83 Prozent aller Altenpflegekräfte sind Frauen und sieben von zehn Bewohnern sind weiblich. So viel zum Thema Geschlechtergerechtigkeit. Ein Pflegegipfel im Bundeskanzleramt ist überfällig.