Asia Techonomics: Singapur testet Eiweißpulver aus Luft und Ökostrom

In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Foto: Klawe RzeczyAls die EU Anfang des Jahres erlaubte, Grillenpulver Lebensmitteln beizumischen, ließ der Widerstand nicht lange auf sich warten: Er brauche das nicht, schrieb der bayerische Ministerpräsident Markus Söder dazu auf Instagram, wo er ansonsten unter dem Hashtag #soederisst regelmäßig Fotos diverser Würstchen postet. Die lapidare Ablehnung durch den CSU-Politiker lässt den ernst zu nehmenden Hintergrund der Initiative unerwähnt: Die EU-Kommission sieht Insekten als nachhaltige Proteinquelle, die nicht nur gesund ist, sondern auch weniger Treibhausgas verursacht und weniger Wasser und Flächen verbraucht.
Wer sich wie Söder aber nicht mit dem Gedanken anfreunden kann, Insektenmehl zu sich zu nehmen, findet nun in Singapur eine Alternative. Im südostasiatischen Stadtstaat hat das Start-up Solar Foods vor wenigen Wochen eine Weltneuheit aufgetischt: Eiweißpulver, das aus Luft gewonnen wird.
Das aus Finnland stammende Unternehmen stellt das Nahrungsmittel mithilfe von Mikroorganismen her, die unter anderem mit Kohlendioxid und Wasserstoff versorgt werden. Diese Zutaten extrahiert Solar Foods aus der Luft – und verwendet bei diesem energieintensiven Prozess nur Ökostrom, damit das Produkt nachhaltig bleibt.
Am Ende des Verfahrens entsteht ein goldbraunes Pulver, das als Mehlersatz etwa verwendet werden kann, um Teige für Brot oder Nudeln zu machen. Es besteht laut Hersteller zu 65 bis 70 Prozent aus Protein, also Eiweiß, und bietet so eine Alternative zu der in Asien ebenso wie in Bayern populärsten Eiweißquelle – Fleisch.
Singapur sieht sich als Pionier bei Lebensmittelinnovationen
Solar Foods, das unter anderem mit dem Business Incubation Centre der europäischen Weltraumagentur Esa kooperiert, ist nicht das einzige Unternehmen, das daran arbeitet, Nahrung aus Luft zu gewinnen. Auch das kalifornische Start-up Air Protein, das vor wenigen Wochen ein Kooperationsabkommen mit dem Agrarriesen ADM geschlossen hat, füttert Mikroorganismen mit CO2, um so Protein herzustellen. Die Finnen sind aber die Ersten, die für ihr Produkt eine Zulassung erhalten haben.
Dass dies in Singapur geschehen ist, ist keine Überraschung: Der ebenso wohlhabende wie kleine Staat am Äquator versucht, sich seit einigen Jahren als ein globales Zentrum für Nahrungsmittelinnovationen zu positionieren. Dahinter steht der Wunsch, von Importen unabhängiger zu werden – um im großen Stil selbst Hühner, Schweine und Rinder zu züchten, hat das Land nicht genug Platz.
Der Stadtstaat hat großes Interesse daran, sich von Lebensmittelimporten unabhängiger zu machen.
Foto: BloombergNeben pflanzlichen Alternativen kommt die mögliche Lösung aus dem Labor: Vor zweieinhalb Jahren war Singapur das erste Land, das in Bioreaktoren hergestellte Fleischzellen zum Konsum zugelassen hat.
Die Lizenz ging damals an das Start-up Eat Just, das es mit seinem In-vitro-Hühnchen weltweit in die Schlagzeilen schaffte. Doch inzwischen ist es um das Laborfleisch in Singapur äußerst ruhig geworden: Laut einem im März veröffentlichten Bericht gab es das Produkt von Eat Just in der Metropole zuletzt nur in einem einzigen Restaurant zu kaufen – und auch nur donnerstags.
Das Beispiel zeigt, wie hoch die Hürden sind, vor denen die Branche noch steht – und dass allein die Zulassung noch bei Weitem nicht ausreicht, um die Essensrevolution auf den Massenmarkt zu bringen.
Teures Laborhuhn und nussige Nudelmischung
Das größte Problem sind die nach wie vor hohen Herstellungskosten. Eat Just gab in der Vergangenheit an, dass es 50 Dollar koste, einen Chicken Nugget im Labor zu produzieren. Inzwischen habe man diesbezüglich zwar Fortschritte gemacht. Die Kosten seien aber immer noch zu hoch. „Wir verlieren jedes Mal Geld, wenn jemand unser gezüchtetes Hähnchen genießt“, sagte Eat-Just-Chef Josh Tetrick.
Auch Solar Foods sieht sich mit seinem Eiweißpulver immer noch ganz am Anfang. Die erste öffentliche Verkostung Ende Mai stieß zwar durchaus auf wohlwollende Kommentare – äußerlich erinnere es an Kurkuma und schmecke wie eine leichte, nussige Mischung aus Cashews und Mandeln, stellte ein Tester fest.
Weitere Teile der Serie Asia Techonomics:
In den singapurischen Verkauf soll das Produkt, das der Hersteller Solein nennt, aber erst 2024 gehen. Eine Zulassung in der EU erwartet das Unternehmen frühestens 2025.
Solar-Foods-Chef Pasi Vainikka, der mit seinem Start-up bereits mehr als 100 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt hat, glaubt, dass es „ein paar Jahrzehnte“ dauern wird, bis seine Produktionsverfahren den Lebensmittelmarkt spürbar verändern. Wegen allzu skeptischen Kunden sorgt er sich aber nicht: „Seitens der Verbraucher gibt es ein großes Interesse“, sagt er.