Asia Techonomics: So befeuert Indiens Antwort auf die Hitzewelle die Klimakatastrophe
Bangkok. Behörden warnen vor erheblichen Gesundheitsgefahren, in Millionenmetropolen wie Kalkutta mussten Schulen schließen, eine Nachrichtensprecherin brach wegen eines Hitzeschlags bei einer Liveaufzeichnung für das Fernsehen zusammen: Indien leidet unter hohen Temperaturen von zum Teil mehr als 45 Grad.
Die Hitzewelle betrifft zurzeit vor allem den Osten und den Süden des Landes – und sie liefert einen Vorgeschmack für andere Regionen: Die Meteorologiebehörde IMD erwartet, dass die Temperaturen bis Juni in großen Teilen des Landes ungewöhnlich hoch sein werden.
Während die Produktivität wegen der Hitze zurückgeht, freuen sich die Hersteller von Klimaanlagen über hervorragende Geschäfte: Die Branche stehe vor dem besten Sommer ihrer Geschichte, sagte ein Manager in der Tageszeitung „Times of India“.
30 Prozent Wachstum seien in diesem Jahr möglich. Das Marktpotenzial ist riesig, denn nur in wenigen indischen Haushalten sind zurzeit Klimaanlagen installiert – doch schon im kommenden Jahrzehnt dürften Kühlsysteme in über 50 Prozent aller Haushalte verbaut sein, schätzt die Regierung in Neu-Delhi.
Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass in 20 Jahren knapp eine Milliarde Klimaanlagen in Indien installiert sein werden – das entspricht rund der Hälfte der Gesamtzahl an Klimaanlagen, die derzeit weltweit in Betrieb sind.
Stromverbrauch bald so hoch wie in ganz Afrika?
Dass immer mehr Anlagen verbaut werden, ist angesichts der Hitze nachvollziehbar – und gleichzeitig problematisch: Steigende Temperaturen machen den Alltag ohne künstliche Kühlmöglichkeiten für viele Inderinnen und Inder in den Sommermonaten zunehmend unerträglich. Zudem wächst die Mittelschicht, die sich die Technik leisten kann.
Allerdings: Je mehr Geräte verbaut werden, desto höher ist der Energiebedarf. Und dieser wird in Indien immer noch größtenteils mit fossilen Energieträgern gedeckt. Der Umgang mit den Folgen des Klimawandels droht so die Klimaprobleme weiter zu verschärfen.
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Rund zehn Prozent der Elektrizitätsnachfrage sind laut IEA in Indien bereits auf Kühlsysteme zurückzuführen – trotz ihrer geringen Verbreitung. Bis 2050 erwartet die Organisation, dass sich der Strombedarf für Kühlsysteme fast verzehnfacht.
Das würde bedeuten: Wenn nicht gegengesteuert wird, werden Indiens Klimaanlagen und Ventilatoren laut IEA mehr Strom verbrauchen, als der gesamte Kontinent Afrika aktuell benötigt.
Indien stellt das vor eine Herausforderung. Der Druck auf die Stromnetze ist schon heute hoch, und der Strombedarf steigt so schnell wie in keiner anderen großen Volkswirtschaft der Welt. Die Spitzenlast bei der Elektrizitätsnachfrage wird der Energieagentur zufolge bis 2030 um 60 Prozent steigen. Kühlsysteme sind demnach für die Hälfte dieses Anstiegs verantwortlich.
Gleichzeitig zeigt sich, wie schwer es Indien fällt, sich von seiner Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu lösen. Im vergangenen Geschäftsjahr, das im März endete, stieg deren Anteil an der Stromversorgung auf über 77 Prozent – der höchste Wert seit fünf Jahren.
Vor allem Kohlekraftwerke wurden wichtiger für die Regierung: Sie steigerten ihre Stromproduktion um 14 Prozent. Erneuerbare Energieträger legten mit unter zehn Prozent deutlich schwächer zu.
So muss Indien handeln, um die Klimakatastrophe nicht weiter zu verschärfen
Die Verschärfung der Klimakatastrophe durch Indiens Klimaanlagen lässt sich nur verhindern, wenn sich zwei Faktoren ändern: Zum einen muss sich der Ausbau der Erneuerbaren in Indiens Energiemix massiv beschleunigen. Zum anderen muss die Kühltechnik deutlich effizienter werden. Die IEA schätzt, dass sich der Anstieg des Spitzenenergiebedarfs mit höheren Standards für Geräte und Gebäude halbieren ließe.
Der Handlungsbedarf ist riesig. Die aktuelle Hitzewelle ist ein Weckruf – nicht nur für Indien, sondern auch für Technologieanbieter weltweit. Sonst leidet der Rest der Welt künftig ebenfalls unter höheren Temperaturen.
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Erstpublikation: 25.04.2024, 12:02 Uhr.