Asia Techonomics: Wie KI, Konsum und Politik Chinas Musikmarkt verändern

Shanghai. Die Hallen der „Music China“ in Shanghai, einer der weltweit größten Musikmessen, wirken nach Aussagen langjähriger Aussteller etwas ausgedünnt. „Weniger los als sonst“, sagt Thomas Hoyer, Geigenbaumeister aus dem fränkischen Baiersdorf, während die Veranstalter berichten, dass einige Hallen gar nicht gebucht wurden. Ein erster Eindruck: Der chinesische Musikmarkt ist in Bewegung, getrieben von politischen Reformen, demografischen Trends und technologischer Innovation.
Der sichtbarste Wandel betrifft klassische Instrumente. Der Markt für Akustikpianos, einst Statussymbol und Bildungsinvestition für Chinas gebildete und vermögende Schichten, ist zurückgegangen. Yamaha meldete zuletzt ein Minus von einem Drittel in China. Digitale Saxofone und KI-gestützte Gitarren hingegen boomen.
Der Grund liegt weniger in erodierender Musikkultur als in geänderten Anreizen: Bonuspunkte für Musikleistungen bei Schul- oder Universitätsaufnahmen sind abgeschafft. Die alten Prüfungs- und Konkurrenzanreize, die private Klavierstunden und hochpreisige Instrumente befeuert hatten, gehören der Vergangenheit an. Zudem schwächelt der Konsum in China, da wird jeder Yuan zwei Mal umgedreht.
Die staatliche Bildungsagenda verfolgt einen neuen Kurs. Mit dem landesweiten Programm für ästhetische Bildung sollen Musik und Kunst stärker in den Schulalltag integriert werden: Jeder Schüler soll mindestens ein Kunstfach belegen, jede Schule eine Aufführung pro Semester durchführen.
Der Fokus liegt auf breiter schulischer Teilhabe, weniger auf privat organisierten Hochleistungstrainings. Digital- und KI-gestützte Lernplattformen werden aktiv gefördert, der Unterricht soll visualisiert, personalisiert und evaluierbar werden. Wer heute Musik lernt, übt nicht mehr für Punkte, sondern für Kreativität, Gemeinschaft und digitale Kompetenzen. So weit zumindest die Theorie.

Hinzu kommt der Handelskonflikt mit den USA, der die Aussteller zum Umdenken zwingt. Joe Zheng, Gründer von GAEA aus Guangzhou, einem Hersteller von Gitarren, berichtet dem Handelsblatt-Reporter von einem deutlichen Strukturwandel: „Unser US-Marktanteil lag bei 20 Prozent, jetzt müssen wir umdenken. Ein anderes Geschäftsmodell ist notwendig.“ Die Firma verkauft nun verstärkt nach Argentinien und Brasilien, auch Europa wird wichtiger; eine direkte Reaktion auf Handelskonflikte und die rückläufige Inlandsnachfrage.
Demografische Faktoren verschärfen den Wandel: Weniger Kinder, eine alternde Bevölkerung und die sogenannte „Lie flat“-Bewegung unter Jugendlichen – ein Trend, bei dem junge Menschen bewusst den gesellschaftlichen Leistungsdruck ablehnen und sich für ein einfacheres, stressfreies Leben entscheiden – reduzieren die Nachfrage nach teuren, langfristigen Lerninvestitionen.
Gleichzeitig wächst der Markt für erschwingliche Instrumente, die im Schulalltag genauso wie in der Freizeit genutzt werden können. Keyboards zum Beispiel. Traditionelle chinesische Instrumente wie Guzheng, Erhu oder Pipa erleben dabei eine Renaissance, häufig kombiniert mit Pop-Arrangements oder digitaler Lernunterstützung.
Die Messe zeigt, dass die Industrie reagiert: Stände präsentieren KI-Gitarren, digitale Schlagzeuge, smarte Keyboards und modulare Ensembles für Schulen. Auch die Live-Performance-Industrie boomt: Konzerte, Musikshows und Festivals ziehen neue Zielgruppen an, unterstützt durch staatliche Kultur- und Tourismusinitiativen. Musik wird als Erlebnis, Community und digitale Erfahrung inszeniert – nicht mehr als Prüfungsvehikel.
So manches Instrument, wie die Gitarren der chinesischen Firma Aeroband, wirkt eher wie Spielzeug. Wie bei „Malen nach Zahlen“ weisen Leuchtfelder den Weg. Das gibt auch blutigen Anfängern das Gefühl, Gitarre spielen zu können, während sie echten Klampfen nur knarzige Metalltöne entlocken würden.
In China verschieben sich die Werte: Musik bleibt wichtig, rückt aber etwas aus dem Zentrum des Bildungsideals. Klassische Pianos verlieren ihren Glanz, während KI, digitale Instrumente und traditionelle chinesische Instrumente den Markt prägen. Unternehmen, Pädagogen und Investoren müssen verstehen: Kreativität, Technologie und kulturelle Tradition bilden die neue Dreieinigkeit des chinesischen Musikmarktes.




Wer sie beherrscht, kann in der Transformation Chancen erkennen und nutzen. Für die anderen ist es einfach nur ein Kulturverlust.
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