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Kolumne „Kreative Zerstörung“Was wir bei der Bundestagswahl vergessen

Andere Länder zeigen, wie digitale Verwaltung funktioniert – und sparen Millionen. In Deutschland gefährden Papierberge das Wahlrecht. Wie lange hält unsere Demokratie das aus?Meckel Miriam 12.02.2025 - 12:22 Uhr Artikel anhören
Die Autorin ist deutsche Publizistin und Unternehmerin. Sie ist Mitgründerin und CEO der ada Learning GmbH. Foto: Klawe Rzeczy

Fast hätte ich in diesem Jahr bei der Bundestagswahl nicht gewählt – das erste Mal in meinem Leben. Nicht aus Frust über die politischen Alternativen (den gibt es), nicht weil ich meiner Verantwortung als Bürgerin einfach aus dem Weg gehen wollte. Sondern einfach, weil es faktisch unmöglich schien.

Durch die vorgezogene Bundestagswahl ist Druck auf den Kessel gekommen. Wahllisten müssen erstellt, Wahlscheine und Stimmzettel gedruckt und mit der Post verschickt werden. In Deutschland wählen wir heute, wie wir auch in den 50er-Jahren gewählt haben.

Als ich gelesen hatte, dass die Briefwahlunterlagen erst kurzfristig vor dem Wahltermin verschickt würden, wurde mir klar: Zu dem Zeitpunkt werde ich im Ausland unterwegs sein, an einem Ort, an dem mich der Brief niemals erreichen wird. Also fragte ich im Wahlamt der Stadt Düsseldorf nach. „Keine Chance“, hieß es dort.

Bundestagswahl am 23. Februar: Warten auf die Briefwahlunterlagen

Aber im unwahrscheinlichen Fall, dass die Wahlunterlagen vor der Abreise noch dort ankommen, könne ich noch zum Wählen vorbeischauen. Mein demokratisches Recht hing am seidenen Faden altertümlicher deutscher Druck- und Transportlogistik.

Seit der Entscheidung, dass am 23. Februar gewählt wird, mahlen die knarzenden Mühlen der analogen Wahlvorbereitungslogistik ohne Ansehen einer dynamischen Welt, in der Bürgerinnen und Bürger gelegentlich anderes zu tun haben, als zu Hause auf die Briefwahlunterlagen zu warten.

Es gibt zahlreiche Beispiele, wie es anders geht. Viele Staaten in aller Welt haben mehr, konsequenter und erfolgreicher daran gearbeitet, ihre Leistungsfähigkeit auf dem aktuellen Stand zu halten. Sie verlangen Gleiches von ihren Bürgern, beispielsweise das Zahlen von Steuern. Deshalb dürfen die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass der Staat seine Prozesse in Ordnung hält.

Die kranke Republik

5,3 Millionen Beschäftigte und trotzdem überfordert: An welchen sieben Punkten der Staat besser werden muss

In der UN-Liste der technisch leistungsfähigsten Nationen 2024 steht Dänemark an erster Stelle, es folgen Estland, Singapur, Südkorea und Island. Auch Staaten wie Kanada, Saudi-Arabien und die Ukraine haben eine Vorbildfunktion darin, durch einen „Software as a service“-Ansatz geleitet zu sein, der umfassende Dienstleistungen mit wenigen Klicks am Computer möglich macht.

Im Zentrum stehen dabei die Bürgerbedürfnisse, einfache Nutzerschnittstellen – die Interoperabilität. Das ist die Tatsache, dass verschiedene Behörden und Funktionen Daten austauschen, also digital miteinander sprechen können. Alles ist aufgesetzt auf einem „Shared Services“-Modell.

Dezentralisierung, Ressortbefindlichkeiten, seit Jahrzehnten veraltete Technik, ein Sammelsurium unterschiedlicher IT-Systeme machen das in Deutschland noch immer unmöglich. Das größte Problem aber ist der politische Top-down-Ansatz, der die Komplexität eines jeden Projekts aufzublasen droht, bis es in der Unumsetzbarkeit platzt.

Dänemark als Vorbild

Während einige Unternehmen gelernt haben, technische Transformationsprojekte zunehmend als kleine Schnellboote aufzusetzen, die irgendwann alles mitziehen können, werden politische Projekte zu gigantischen Betontankern, die schneller auf Grund laufen, als man „agile Verwaltung“ aussprechen kann.

Die aber muss kein Widerspruch in sich sein, wie der Weltmarktführer in der digitalen öffentlichen Verwaltung zeigt. Dänemark hat vor 20 Jahren begonnen, den Staat schrittweise zu digitalisieren – in kleinen Entwicklungsschritten, sogenannten Iterationen, wie man es in der Softwareentwicklung nennt. Wenn wir das für Deutschland zugrunde legen, wissen wir, was uns bevorsteht.

Aber das Ergebnis ist ein Traum: Bei unserem nordischen Nachbarn hat jeder eine digitale Identität (NemID) für die persönliche Identifikation. Erst war das eine Karte, seit 2018 ist es eine App. Verbunden damit ist ein einzigartiges individuelles Login (NemLog-in), mit dem man sich überall anmelden kann. Auch hat jeder ein gesichertes digitales Postfach, mit dem staatliche Behörden kommunizieren können. Post, die dort eingeht, gilt als offiziell und rechtlich verbindlich übermittelt (ade Einschreiben).

Alle Dänen und alle Unternehmen haben ein Konto (NemKonto), das mit der NemID verbunden ist. Wann immer sich etwas ändert, wird es über alle digitalen Prozesse hinweg synchronisiert. Steuerrückzahlungen gehen nach der digitalen Einreichung der Steuererklärung automatisiert auf dieses Konto, das Gleiche gilt für Arbeitslosengeld und andere staatliche Leistungen. Aufgesetzt ist all das auf einer einheitlichen, angriffssicheren Plattform (Borger.dk), die mit einem virtuellen Warteraum für Zeiten des Ansturms ausgestattet ist, um Systemzusammenbrüche zu vermeiden. Natürlich in Dänisch und Englisch verfügbar.

Wenn wir in Zukunft noch die Wahl in einer robusten Demokratie haben wollen, dann haben wir keine andere Wahl, als uns entschlossen und konsequent endlich an die Digitalisierung des Staats zu machen.

An all das denke ich, als ich drei Stunden vor Abflug ins Ausland zum Düsseldorfer Wahlamt renne. Die Unterlagen sind in letzter Minute angekommen – ich kann doch noch wählen. Das ist gut, aber es ginge einfacher. Die Dänen sparen 300 Millionen Euro pro Jahr durch konsequente Digitalisierung.

Viel wichtiger: Das Vertrauen der Bürger in ihre Regierung ist viel höher als im Durchschnitt der Mitgliedsländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Wenn wir in Zukunft noch die Wahl in einer robusten Demokratie haben wollen, dann haben wir keine andere Wahl, als uns entschlossen und konsequent endlich an die Digitalisierung des Staats zu machen.

Mein Lichtblick im mühsamen Kampf um meine Wahlstimme waren übrigens Menschen. Zum Beispiel das Team im Amt für Statistik und Wahlen, das dieser Tage früh am Morgen und bis spät in die Nacht für die Umsetzung unserer Demokratie im Einsatz ist.

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Über Wochen waren wir in Kontakt, an diesem Morgen haben sie sich aktiv bei mir gemeldet: „Die Stimmzettel sind da!“ Das ist menschlicher Einsatz in den Mühlen einer Retro-Administration. Als ich die freundliche Mitarbeiterin frage, ob wir nicht in Deutschland bald digital wählen könnten, lacht sie laut auf – ein bisschen so, als hätte ich gefragt, ob die Deutschen dieses Jahr noch zum Mars fliegen.

Erstpublikation: 12.02.2025, 09:03 Uhr.

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