Kolumne „Kreative Zerstörung“: Game over für die Arbeit – wenn KI übernimmt, müssen wir zocken

In einigen Jahren könnte es leer werden am World Economic Forum (WEF) in Davos. Dort, wo sich vor wenigen Tagen wieder mehr als 2500 Menschen in den Gängen von Hotels und Kongresszentrum drängten, kommen vielleicht nur noch einige Hundert zusammen. Dann nämlich, wenn eintreten wird, was Salesforce-CEO Marc Benioff an diesem WEF vorhergesagt hat: „Die hier anwesenden CEOs sind die letzten einer Generation, die nur Menschen geführt haben. Von diesem Moment an werden wir nicht nur menschliche Arbeitskräfte führen, sondern auch virtuelle Mitarbeitende.“
Benioff zielt auf die neue Entwicklung der KI-Agenten, die mehr können, als Texte, Bilder und Töne zu produzieren. Sie können komplexe Handlungsfolgen eigenständig vollziehen, ohne zwischendurch nachfragen zu müssen. OpenAI hat einen solchen Agenten in erster Version soeben veröffentlicht: Operator kann einen Tisch im Restaurant reservieren, Online-Einkäufe erledigen und vieles mehr.
Was hat diese Beta-Version aller agentischen Anfänge mit dem WEF zu tun? Gar nichts, denn für diese Erledigungen haben die Führungskräfte ja Sekretariate und Lebenspartnerinnen. Aber dabei wird es nicht bleiben. Mit der Zeit werden die KI-Agenten viel komplexere Aufgabenbereiche übernehmen können.
OpenAI-Gründer Sam Altman hat kürzlich vorhergesagt, fortgeschrittene Agenten würden es möglich machen, ein Milliarden-Dollar-Unternehmen zu führen, ohne einen einzigen anderen menschlichen Mitarbeiter anzustellen – ein einsames automatisiertes Unicorn, bei dem irgendwo ein menschlicher CEO die schuftenden KI-Agenten überwacht.
Das ist Vernunft und Wahnsinn zugleich. Vernunft, weil KI uns auf diesem Wege viele repetitive Aufgaben abnehmen wird, die allemal keine Freude machen. Wahnsinn, weil sich die Frage stellt: Was bleibt den Menschen übrig, wenn sie nichts mehr zu schaffen haben auf dieser Welt?
Natürlich wird ein solches Szenario nicht von heute auf morgen eintreten. Es wird sich langsam in unsere Arbeitswelt schleichen, mit erst diesem, dann jenem Aufgabenbereich, der vollständig von agentischer KI übernommen werden kann.
Es wird erst die Büroarbeitsplätze treffen, dann die Industrie, denn hier sind wir in der Anwendung von KI-Modellen erst am Anfang, neue müssen erst mit den entsprechenden Industriedaten trainiert werden. Aber wenn das geschieht, wird es auch in der industriellen Herstellung und Verarbeitung ganze Arbeitsprozesse geben, die von KI-gesteuerter Robotik eigenständig erledigt werden können.
Es wäre die Aufgabe nationaler Regierungen, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, von Organisationen wie der International Labor Organization über diese Frage nachzudenken. Bislang hört man dröhnende Stille. Der schwedische Transhumanist und Philosoph Nick Bostrom beschreibt diese Zukunft als eine Utopie der „Post-Knappheit“ (post scarcity).
Das ist die Ära, in der KI alle Arbeit nahe der Null-Grenzkosten erledigen kann. Menschen einzusetzen, wäre dann eine reine Ressourcenverschwendung. Was uns in diesem Szenario nach dem schwedischen Philosophen Nick Bostrom bleibt, sind die Statusgüter, die uns als Individuen von anderen unterscheiden. Das könnte ein Ticket zu einem exklusiven Event sein, das eben nur einmal stattfindet. Es könnte auch der Haarschnitt eines Starfriseurs sein, der nur einmal in seinem Berufsleben jemandem die Haare schneidet und dann ausgesorgt hat.
Wo finden wir neuen Wettbewerb?
Bostrom sieht diesen Wettbewerb um Statusgüter als einzigen, der in einer solchen Zeit noch Sinn hat. Andere Formen des Wettbewerbs sind für ihn „fehlgeleitete Koordinationsmechanismen“, auf die wir verzichten können.
Allerdings: Wettbewerb ist nicht nur der Mechanismus, der den Markt balanciert, Preise festsetzt und Produktqualität verbessert. Er ist auch ein intrinsisches Motiv menschlicher Existenz. Kinder vergleichen sich, wir treiben Sport, treten in physischen und digitalen Spielen und Prüfungen gegeneinander an.
Erfahrungen von Gewinn oder Verlust, richtig oder falsch, gemeinsam oder gegeneinander, bilden sich erst im Wettbewerb um die unterschiedlichen Positionen und Gegenstände heraus. Wir brauchen diesen Wettbewerb, um unsere individuelle Position im sozialen Gefüge der Welt zu finden. Arbeit spielt dabei eine Riesenrolle. Was tun, wenn sie wegfällt?
Auftritt Demis Hassabis, dem Gründer von Deepmind und letztjährigen Chemie-Nobelpreisträger. Wer ihm beim WEF zugehört hat, konnte zwischen den Zeilen lesen, was sein Ersatz für die Arbeit ist: die Entwicklung von Computerspielen. Hassabis kommt aus dieser Ecke und will sich darauf wieder stärker konzentrieren.
Er findet sich da in guter Gesellschaft. Schon in den achtziger Jahren beschrieb der dänische Familientherapeut Jesper Juul in seinem Aufsatz über „Die Kunst des Scheiterns“, wie Computerspiele dem Menschen helfen können, den Umgang mit Versagen zu lernen.
Die US-Computerspielforscherin Jane McGonigal beschreibt, wie Spiele uns helfen können, einen sinnhaften Umgang mit unserer Umwelt zu finden – komplexe Probleme zu lösen, resilienter zu werden, sich sozial zu verbinden. So kann man die Gedanken von Demis Hassabis lesen: Computerspiele werden die Hauptbeschäftigung und Sinngebung des Menschen in einer KI-dominierten Arbeitszukunft sein.



Wer sich damit nicht beschäftigen mag, lässt die Welle auf sich zurollen. Für alle, die ihre Zukunft gerne gestalten wollen, beginnt jetzt die Zeit, darüber nachzudenken. Leicht wird das nicht. 2019 schrieb das WEF zu diesem Thema: „Das Leben ist kein Spiel. Natürlich werden Menschen weiterhin in allen wichtigen Geschäftsfunktionen eine bedeutsame Rolle spielen.“ Diejenigen, die unsere Zukunft programmieren, sehen das inzwischen anders.






