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Kolumne „Kreative Zerstörung“Im Bann des Rechenmaximalismus

Das Silicon Valley folgt einem Glaubenssatz: Je mehr Chips, Server und Daten, desto besser die KI. Doch Miriam Meckel zeigt, warum der Rechenmaximalismus eine gefährliche Illusion ist.Meckel Miriam 04.11.2025 - 19:53 Uhr Artikel anhören
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Foto: Klawe Rzeczy

„Wolke sieben“ reicht längst nicht mehr für die großen Tech-Unternehmen. Sie schweben eher Richtung „Wolke sieben Billionen“. Künstliche Intelligenz erzeugt finanzthermischen Turboauftrieb, wie die Zahlen der vergangenen Tage zeigen.

Unternehmen, die mit dem Label „AI“ unterwegs sind, bekommen astronomische Bewertungen. So Mira Muratis „Thinking Machines“. Das Start-up hat zwei Milliarden Dollar aufgenommen zu einer Marktbewertung von zwölf Milliarden. Ein Produkt gibt es nicht. Man weiß nicht mal, was die „Denkmaschinen“ eigentlich so machen sollen.

Nvidia ist zum wertvollsten Konzern der Welt geworden, weil seine Chips die Grundlage für das KI-Zeitalter liefern. Zum ersten Mal hat das Unternehmen nun die Fünf-Billionen-Dollar-Grenze durchbrochen.

Alphabet meldete die Tage ein Umsatzplus von 16 Prozent, Amazon einen Gewinnzuwachs von 38 Prozent, und Meta will mehr als 70 Milliarden in KI investieren. Der Markt hat einen Rauschzustand erreicht. Ist das der ultimative industrielle Umbruch oder doch eine Spekulationsblase?

Durch KI entstehen faszinierende neue Möglichkeiten – in Forschung, Medizin, Bildung und Kreativität. Nur rechnen können die KI-Modelle immer noch nicht so recht. Manchmal ist das Ergebnis korrekt, vielfach aber nicht. Und das Problem scheint inzwischen die gesamte Tech-Branche angesteckt zu haben.

Die wird getrieben von einem Glaubenssatz: dem Rechenmaximalismus. Er ist das neue Silicon-Valley-Sakrament. Die Grundüberzeugung: Je mehr Geld wir in immer mehr Rechenzentren mit immer mehr Servern, getrieben von immer mehr Chips stecken, desto mehr Daten können die immer größeren KI-Modelle verarbeiten und desto besser werden sie. Daran darf man grundsätzlich zweifeln, wie der Vergleich von einfacheren Modellen wie Deepseek zeigt. Aber brechen wir mal ein paar Elemente runter.

Ein zentraler Baustein der KI-Infrastruktur sind Grafikprozessoren (GPUs), vor allem die von Nvidia. Diese Chips ermöglichen das Training und den Betrieb großer KI-Modelle. Sie sind teuer, leistungsfähig und extrem energiehungrig. Doch technologisch altern sie schnell: Im Bereich der generativen KI gilt eine GPU als veraltet, sobald ein neuer Chip-Standard erscheint, meist schon nach zwei bis drei Jahren.

Nach den Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre würde das bedeuten: Unternehmen müssen die Investitionen in solche Chips schnell abschreiben. Und das würde die ausgewiesenen Gewinne ordentlich reduzieren. Genau das umgehen die großen Tech-Konzerne durch eine Änderung der Nutzungsdauer.

Microsoft, Alphabet, Amazon, Oracle und zuletzt Meta haben die Abschreibungszeiträume für ihre Server, auf denen KI-Modelle laufen, einfach mal verlängert. Statt wie früher über vier oder fünf Jahre werden die Kosten nun über sechs oder sogar sechseinhalb Jahre abgeschrieben. Das reduziert die jährlichen Abschreibungskosten und lässt die Gewinne höher erscheinen, als sie wirtschaftlich tatsächlich sind.

Rechnen, bis die KI-Blase platzt

Das Paradoxe daran: Während die reale Nutzungsdauer der Chips sinkt, wird sie auf dem Papier verlängert. Das Ergebnis ist eine systematische Überbewertung der kurzfristigen Profitabilität. Analysten der Barclays-Bank schätzen, dass bei realistischen Abschreibungen die Gewinne pro Aktie um fünf bis zehn Prozent niedriger lägen.

Gleichzeitig werden KI-Investitionen zunehmend über undurchsichtige Vehikel wie SPVs (Special Purpose Vehicles) abgewickelt, also über ausgelagerte Gesellschaften, über die sich Schuldenlast und Investitionen aus den Konzernbilanzen heraushalten lassen. Die Folge: Ein immer größerer Teil des KI-Ökosystems wird durch komplexe Finanzstrukturen verschleiert, was die tatsächliche wirtschaftliche Substanz kaum noch erkennen lässt.

Dabei entsteht durch „zirkuläre Finanzierung“ zwischen den beteiligten Unternehmen ein undurchsichtiges Beziehungschaos, wie Analysten von Morgan Stanley kürzlich aufgezeigt haben, nachdem sie die Kapitalflüsse zwischen OpenAI, Nvidia, Microsoft, Oracle, AMD und Coreweave aufgezeichnet hatten. Das Ergebnis sieht aus wie das Kabelmanagement unter dem Schreibtisch eines Informatikstudenten im ersten Semester.

Es stimmt schon: Blasen sind nicht per se schlecht. Eric Schmidt, Ex-Google-Chef und Investor, sagt: „Bubbles sind großartig. Mögen sie weiter wachsen.“ Historisch betrachtet haben sie im 19. Jahrhundert Eisenbahnen und Stromnetze hervorgebracht, im 20. Jahrhundert das Internet und digitale Marktplätze. Anders sieht es allerdings aus, wenn rund um KI gerade eine Finanzblase wächst. Die kurzlebigen Assets weisen ebenso daraufhin wie die Tatsache, dass sieben große Tech-Unternehmen für 60 Prozent des diesjährigen Wachstums im S&P verantwortlich zeichnen.

Der Rechenmaximalismus ist nicht der alleinige, vielleicht nicht mal ein angemessener Weg in die KI-Zukunft. Er ist eine Art moderner Ablasshandel.
Miriam Meckel

Vor allem aber hat das moderne Märchen der KI-Wachstumswolke auch handfeste Konsequenzen für die Realwirtschaft. Denn Kapital ist nicht grenzenlos. Wenn Milliarden in KI fließen, in Serverparks, Chipproduktion und Start-up-Finanzierungen, dann fehlen sie an anderer Stelle. Besonders betroffen sind Sektoren, die weniger spektakulär, aber gesellschaftlich notwendig sind: effiziente Energieversorgung, Wohnungsbau, Bildung, nachhaltige Landwirtschaft.

Aus der Geschichte wissen wir: In jeder Technologiewelle werden Kapitalflüsse umgelenkt. Das ist auch gut so, denn so lassen sich große Ideen finanzieren, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig verändern. KI hat das Zeug dazu, aber über unsere menschlichen Glaubenssätze sollten wir noch mal nachdenken.

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Vielleicht wäre jetzt ein guter Moment, kurz innezuhalten. Weniger zu rechnen, mehr zu denken. Nicht gleich das gesamte Bruttoinlandsprodukt in Silizium gießen. Wollen wir wirklich ein Superhirn erschaffen, das uns ersetzt? Oder vielleicht viele kleine, die uns effizient ergänzen?

Der Rechenmaximalismus ist nicht der alleinige, vielleicht nicht mal ein angemessener Weg in die KI-Zukunft. Er ist eine Art moderner Ablasshandel. Je mehr Chips wir opfern, desto göttlicher der Output – so die Hoffnung. Die entscheidende Frage ist nicht, wie viele Billionen Dollar noch in GPUs und Start-ups fließen. Sondern ob es uns gelingt, KI sinnvoll in reale Problemlösungen zu überführen. Rechenmaximalismus allein wird das nicht leisten.

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