Reichtum: Wie Vermögende die Demokratie retten könnten
Vor einigen Monaten saß ich in Berlin an einem Tisch mit jungen Erbinnen und Erben. Schon bei der Vorstellungsrunde flossen Tränen. Es ging um die Vergangenheit ihrer Vermögen. Um Streit und Betrug in der Familie, um Ausbeutung von Menschen und Natur, um Steuervermeidung – und auch um den Nationalsozialismus.
Rund um den 9. November ist wieder von den vielen Lehren aus der Geschichte zu hören, zu denen dieser Tag Anlass gibt. Auf „Nie wieder ist jetzt“ können sich alle einigen. Aber der Satz ist auch im Hinblick auf deutsche Familienvermögen herausfordernd.
Betrachtet man die aktuelle Top-100-Liste des „Manager Magazins“ im Vergleich zu ähnlichen Listen in anderen Ländern, fällt einerseits die große Kontinuität auf. Die meisten Großvermögen haben Wurzeln, die älter sind als die Bundesrepublik. Und 80 Prozent sind durch die nahezu einzigartige Konstruktion der Familienstiftungen weiterhin in Privathand. Reichtum in Deutschland ist weniger offen und weniger öffentlich.
Eine neue Aufgabe für Vermögen
Deshalb finden sich Vermögensnachfolger zunehmend in privaten Kreisen zusammen, viele sind international inspiriert und vernetzt. Sie fühlen sich eingequetscht zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zur Verstrickung in der Nazizeit wird bis heute oft geschwiegen. Nur wenige Unternehmer haben unter Druck recherchiert (die wenigsten ohne Druck wie jüngst etwa Hans Schöpflin in einer eindrucksvollen Analyse), und mit toten Vorfahren ist die Auseinandersetzung nicht einfacher als mit lebendigen.
Was aber tun Menschen mit Vermögen, das sie als unrechtmäßig, belastet und meist als unverdient ansehen? In der Regel nichts. Abwarten. Irgendwann ist immer ein besserer Zeitpunkt als heute.
Aber für die aktuelle Erbengeneration kommt eine Zukunftssorge ins Spiel, die ihre Eltern nicht gespürt haben: Zum ungebremsten Klimawandel tritt die Erosion der Demokratie – angetrieben von genau der Ungleichheit, auf deren Gewinnerseite sie stehen, ob sie wollen oder nicht.
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In der Diskussion wird schnell klar: Nichts zu tun ist bei genauerem Hinsehen auch eine Handlung, denn das Geld vermehrt sich, fast immer nach Strategien professioneller Vermögensanleger, oft mit unklaren oder negativen Nebenwirkungen für Dritte und praktisch immer mit einer höheren Rendite als bei denen mit weniger Glück bei der Geburtslotterie. Ungleichheit verstärkt sich ganz von selbst.
Das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Vermögenden wird nach dem Ende des Versprechens „Wohlstand für alle“ zur zentralen Konfrontationslinie der Demokratie. Deshalb geht es in den Gesprächsrunden um Ressourcenverteilung, und zwar nicht durch den Markt oder den Staat, sondern die freiwillige Alternative.
Aber das Weggeben ist einfacher gesagt als getan. Geld verschwindet nicht. Man kann es allenfalls weitergeben. Aus dem Vermögen etwas anderes machen, es transformieren.
Wie Reiche Macht übertragen
Ungerechtigkeiten mit privatem Geld zu korrigieren, das geht ohne Widersprüche nur, wenn die Reichen tatsächlich Macht übertragen. Sie interessieren sich dementsprechend dafür, die Zielgruppen ihres Gebens selbst in die Vergabeentscheidungen einzubinden. Oder dafür, mit komplett digitalen Stiftungen komplett anonym zu geben. Oder dafür, Betriebsvermögen an die Belegschaft oder in Verantwortungseigentum zu übergeben. Sie unterstützen investigative Wirtschaftsjournalisten, bezahlen Studien für höhere Reichensteuern oder finanzieren die Kampagne zum jüngst gescheiterten Hamburger Volksentscheid zum Grundeinkommen.
Die Bewegung der Machtabgeber steht noch am Anfang, und sie ist selbst nicht frei von Widersprüchen und Fehlschlägen. Aber in den nächsten Jahren werden wir hier viele philanthropisch-demokratische Experimente sehen, für die Vorbilder aus der ganzen Welt kommen.
Etwa aus den USA. Dort sind die historischen Gräben leichter sichtbar. Die offensichtlichste ist die Hautfarbe. Vor einigen Jahren mobilisierte ein Internetaufruf weiße Menschen mit selbst diagnostiziertem Überreichtum, um die privaten Schulden von schwarzen Menschen direkt auszugleichen. 460 Gebende und doppelt so viele Schuldner meldeten sich innerhalb von zwei Wochen für die Aktion „Buy Back Black Debt“. Eine der Initiatorinnen möchte das Prinzip des direkten, persönlichen Schuldenausgleichs jetzt nach Deutschland bringen.
Vielleicht ist der 9. November ein Anlass zum Engagement, auch für diejenigen, die weniger Druck spüren, sich von Vermögen zu lösen, und sich einfach nur um die Demokratie sorgen. Ein Anlass, das eigene Engagement nicht länger aufzuschieben und aus der Zustimmung zu „Nie wieder ist jetzt“ ein konkretes „Irgendwann ist jetzt“ zu machen. Die neue historische Aufgabe von Vermögen in unserer Gesellschaft ist es, die Demokratie zu bewahren.
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Erstpublikation: 30.10.2025, 18:37 Uhr.