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Der ChefökonomEin Lob auf das Bargeld

Das bequeme Bezahlen mit Karten oder Handy nimmt zu. Doch dieser Komfort hat seinen Preis: die Offenlegung sensibler privater Daten.Bert Rürup 05.12.2024 - 13:29 Uhr Artikel anhören
Bargeld: einziges gesetzliches Zahlungsmittel. Foto: Monika Skolimowska/dpa

„I love cash“, tönte 2010 der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) – und sprach damit wahrscheinlich ungewollt vielen Deutschen aus dem Herzen. Denn immer noch zahlen die deutschen Verbraucher überdurchschnittlich oft mit Bargeld. Nur Italiener, Malteser, Spanier und Österreicher nutzen in Restaurants, an Tankstellen oder bei Käufen im Einzelhandel noch seltener das Smartphone oder Kreditkarten zum Bezahlen, wie eine jüngst veröffentlichte Analyse der Boston Consulting Group zeigt.

Laut der Deutschen Bundesbank wird mehr als jede zweite Zahlung in Deutschland mit Bargeld abgewickelt. Gemessen an den getätigten Umsätzen lag die Debitkarte 2023 mit einem Anteil von 32 Prozent an den Gesamtausgaben auf dem ersten Platz, Bargeld folgte mit 26 Prozent an zweiter Stelle vor Überweisungen und Internetbezahlverfahren.

Bargeldumlauf steigt kontinuierlich

Ein verdrängtes Faktum ist, dass Bargeld das einzige gesetzliche Zahlungsmittel ist. Es besteht ein Annahmezwang mit schuldbefreiender Wirkung. Restaurants, Händler und Dienstleister können Bargeld nicht ablehnen – es sei denn, sie haben mit ihren Kunden im Vorfeld eine andere Zahlungsmethode vereinbart oder schriftlich die Annahmepflicht von Bargeld ausgeschlossen.

Barzahlungen erfordern keine Geräte und kein Internet. Menschen mit beschränktem Zugang zu elektronischen Zahlungsmitteln bietet Bargeld die Möglichkeit des Bezahlens und des Sparens.

Bemerkenswert ist zudem, dass trotz wachsender Verbreitung bargeldloser Zahlungsmöglichkeiten der Bargeldumlauf in der Eurozone kontinuierlich steigt – um rund sechs Prozent pro Jahr und damit deutlich stärker als die gesamtwirtschaftliche Leistung. Mit einem Wert von mehr als 1,5 Billionen Euro zum Jahresende 2022 hat sich der Bargeldumlauf damit seit Erstausgabe des Euro-Bargelds im Jahr 2002 mehr als versiebenfacht.

„Das Bargeld genießt innerhalb der Bevölkerung ein sehr hohes Vertrauen“, stellt die Bundesbank auf ihrer Website fest. Diese Bargeldpräferenz zeige sich vor allem zum Beginn von Krisensituationen und zu unsicheren Zeiten, in denen die Auszahlungen von Banknoten häufig außergewöhnlich stark zunähmen. Bargeld spiele also nicht nur im Alltagsleben eine bedeutende Rolle, sondern werde auch „als stabiles Wertaufbewahrungsmittel geschätzt“.

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Gleichwohl werden Bargeld-Transaktionen von vielen Staaten begrenzt. Besonders radikal ging im Jahr 2016 Indiens Regierung vor und entwertete über Nacht die gängigsten Geldscheine. „Die 500- und 1000-Rupien-Scheine, die anti-nationale und asoziale Elemente daheim bunkern, werden nur noch wertlose Stücke Papier sein“, sagte Premierminister Modi. „Das Ausmaß, mit dem sich Korruption und Schwarzgeld hier ausgebreitet haben, ist riesig. Dahinter steckt der Egoismus gewisser Teile unserer Gesellschaft.“ Auf diese Weise wurde der Volkswirtschaft 86 Prozent des Bargelds entzogen – freilich nur sehr kurzfristig.

Nur Bargeld garantiert Anonymität

Deutlich weniger rigide geht es in Europa zu. Im Mai 2016 beschloss die EZB, Ende 2018 die Produktion und Ausgabe von 500-Euro-Noten einzustellen; bisher emittierte Scheine behalten jedoch unbegrenzt Gültigkeit. Überdies gibt es in vielen EU-Staaten ein Bargeld-Limit, das in Griechenland mit 500 Euro besonders niedrig ist. In Spanien dürfen Zahlungen an Unternehmer oder von Unternehmern ab einem Betrag von 1000 Euro nicht in bar erfolgen. In Portugal sind Bargeldzahlungen über 3000 Euro verboten.

Anfang dieses Jahres verständigten sich die EU-Staaten darauf, eine allgemeine Bargeldobergrenze von höchstens 10.000 Euro einzuführen. Diese Regeln gelten ab 2027. Auf diese Weise soll Kriminalität erschwert werden.

In Deutschland gibt es bislang keine solche verbindliche Obergrenze. Händler sind jedoch verpflichtet, dass sich Käufer bei Barzahlungen ab 10.000 Euro ausweisen müssen und die persönlichen Daten erfasst und gespeichert werden. Banken müssen sich die Herkunft von Bargeld ab dieser Höhe nachweisen lassen. Einzahlende, die kein Konto bei dem Kreditinstitut haben, müssen bereits ab 2500 Euro die Herkunft des Geldes deklarieren.

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Anonymität garantiert allerdings nur Bargeld. Nur durch den Einsatz von Scheinen und Münzen ist es möglich, bestimmte Ausgaben vor dem Staat, der Öffentlichkeit oder auch vor Familienangehörigen zu verbergen. Und würde das Bargeld abgeschafft, wäre die traditionelle Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes in Gefahr. Zudem hätte es die Zentralbank wesentlich einfacher, negative Einlagenzinsen zur Stimulierung der Wirtschaft durchzusetzen, da diesen Strafzinsen nicht mehr mit Barabhebungen ausgewichen werden könnte.

Umverteilung dürfte erheblich sein

Die Abschaffung des Bargeldes würde jeden Bürger zu einem „gläsernen Konsumenten“ machen. Alle Gewohnheiten, Vorlieben, Neigungen und Wünsche, zu deren Befriedigung jemand Geld ausgibt, wären nicht nur den abwickelnden Finanzinstituten, sondern letztlich allen Anbietern von Gütern und Dienstleistungen über Big-Data-Applikationen sowie Behörden und Geheimdiensten bekannt. Assoziationen mit dem chinesischen Sozialpunktesystem liegen nahe – George Orwells „1984“ lässt grüßen!

Doch nicht für den Staat, sondern auch für privatwirtschaftliche Anbieter haben „gläserne Kunden“ einen hohen Nutzen. Sobald Hersteller und Händler die Präferenzen und monetären Möglichkeiten ihrer Kunden kennen oder zumindest abschätzen können, können individuelle Preise so gesetzt werden, dass die individuelle Zahlungsbereitschaft der Käufer möglichst weitgehend abgeschöpft wird.

Die resultierende Umverteilung zugunsten der Anbieter und zulasten der Verbraucher dürfte erheblich sein, selbst wenn die Daten rechtskonform verwendet werden. Barzahlung ist der wirksamste Schutz vor dieser Form der Umverteilung.

Geld ist geprägte Freiheit.
Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Schriftsteller

Überdies fehlt bislang der Nachweis, dass etwa in Griechenland mit seinem rigiden Bargeld-Limit organisierte Kriminalität, Terrorismus, Geldwäsche und Steuerhinterziehung wirksamer bekämpft werden als in Deutschland oder anderen Ländern ohne solch ein Limit. Man darf davon ausgehen können, dass die Akteure in der Schattenwirtschaft stets Mittel und Wege finden, mit solchen Restriktionen umzugehen. Beispielsweise können Kriminelle auf Fremdwährungen wie den US-Dollar, Gold oder Edelsteine ausweichen oder Lösegeldzahlungen etwa bei Cyber-Attacken in nicht verfolgbaren Kryptowährungen abwickeln.

Auch die versuchte Demonetarisierung der indischen Volkswirtschaft war kein Erfolg. Zum einen stürzte die Wirtschaft ins Chaos; viele Menschen mussten kurzfristig Hunger leiden, auch wenn das entwertete Bargeld später gegen Vorlage des Ausweises in neue Scheine umgetauscht werden konnte.

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Einem Bericht der indischen Zentralbank aus dem Jahr 2018 zufolge flossen im Zuge dieses Umtauschs 99,3 Prozent aller Banknoten zurück. Offensichtlich gelang es nahezu allen Schwarzgeld-Besitzern, ihr Geld umzutauschen, sprich: zu „waschen“.

„Geld ist geprägte Freiheit“ – schrieb vor mehr als 160 Jahren der Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski in seinen „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“. Angesichts der heute möglichen informationstechnologischen Ausforschung steckt darin mehr Wahrheit, als es sich der russische Autor damals wohl vorstellen konnte. Vermutlich würde er dieses Zitat heute um einen Zusatz ergänzen: „... denn mit dem Verschwinden des Bargeldes schwindet ein Teil der persönlichen Freiheit“.

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