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Der ChefökonomSind die Zeiten der Exportnation Deutschland vorbei?

Einst war Deutschland der große Gewinner des letzten Globalisierungsschubs, doch heute steht das Land schlecht da. Wie der einstige „Exportweltmeister“ zu alter Stärke zurückfinden könnte.Bert Rürup 07.03.2025 - 10:34 Uhr
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Export-Autos im Hafen von Emden: Der deutsche Exportüberschuss schrumpft. Foto: Jörg Sarbach/dpa

Für die meisten Medien war es kaum mehr als eine Randnotiz: Die deutschen Exporte sind im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2023 um 1,3 Prozent gesunken – „erneut“, sollte man ergänzen. Denn bereits 2023 war die Ausfuhr im Vergleich zum Vorjahr um 1,2 Prozent zurückgegangen. Wichtigstes Zielland waren im vergangenen Jahr mit großem Abstand die USA, gefolgt von Frankreich und den Niederlanden. Die wichtigsten deutschen Exportgüter waren nach wie vor Kraftfahrzeuge, gefolgt von Maschinen und elektrotechnischen Erzeugnissen.

Die Daten bestätigen die seit einigen Jahren rückläufige Bedeutung des deutschen Außenbeitrags, also der Differenz von Aus- und Einfuhr. So belief sich im Jahr 2015 der Außenhandelsüberschuss noch auf 7,5 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), im vergangenen Jahr waren es nur noch etwas mehr als fünf Prozent.

Diese Kennziffer ist wichtig, denn Exporte sind Teil der gesamtwirtschaftlichen Leistung eines Landes, Importe dagegen nicht. Für das Wirtschaftswachstum ist daher der Außenbeitrag eine maßgebliche Größe: Isoliert betrachtet dämpfte der Außenhandel 2024 das Wachstum um 0,4 Prozentpunkte.

Frühere Stärke eingebüßt

Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Die vom Ifo-Institut erhobenen Exporterwartungen sinken seit dem Frühjahr 2021 nahezu stetig. Seit dem Frühjahr 2023 notiert dieser Index ohne Unterbrechung im negativen Bereich. Die Anzahl der Pessimisten war seitdem daher stets größer als die der Optimisten. Deutschland, einst ein Exportchampion, hat seine frühere Stärke eingebüßt. Es stellt sich die Frage, wie es dazu kam.

Ein Blick zurück: Seit den 1950er-Jahren kamen in der Bundesrepublik entscheidende Impulse für hohe Wachstumsraten und konjunkturelle Erholungen durchweg von einem Anziehen der Auslandsnachfrage. Mein Münchener Kollege Hans-Werner Sinn drückte dies so aus: „Die deutsche Volkswirtschaft schwimmt wie ein Korken auf der Weltkonjunktur.“ Die mehrfachen Aufwertungen der D-Mark trimmten die deutsche Industrie auf Effizienz, um trotz hoher Arbeitskosten stattliche Gewinne erzielen zu können.

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Nicht zum Kerngeschäft gehörende Produktionszweige wurden in Niedriglohnländer verlagert, zunächst nach Südeuropa, dann – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – in die Staaten Osteuropas und im Zuge der Integration Chinas in den Welthandel gen Fernost. Dank stabiler globaler Lieferketten gelang es, gut bezahlte Industriearbeitsplätze in Forschung und Entwicklung, Produktdesign und Endmontage im Hochlohnland Deutschland zu sichern. Deutschland wurde von 2003 bis 2008 sechsmal in Folge „Exportweltmeister“ – und nicht wenige Medien und Politiker meldeten dies mit Stolz.

Kein anderes Land profitierte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 von dem einsetzenden Globalisierungsschub so stark wie die Bundesrepublik. Im Gegenzug wurde allerdings auch keine andere große Volkswirtschaft ähnlich stark von den jüngsten globalen Verwerfungen getroffen.

Die globale Pandemie, der Ukrainekrieg oder die Bedrohung der Energiesicherheit und die daraus resultierenden Preisschübe waren nicht vorhersehbar.

Signale nicht wahrgenommen

Gleichwohl gab es bereits im vergangenen Jahrzehnt eine Reihe von Anzeichen, dass auch dieser Globalisierungsschub auslaufen würde. Doch weder in den Vorstandsetagen der Industrie noch im Bundeskanzleramt oder im Wirtschaftsministerium wurden diese Signale als wirtschaftspolitische Herausforderung wahrgenommen.

Bereits unter Präsident Barack Obama (2009 bis 2017) identifizierten die USA China als wichtigsten weltwirtschaftlichen Rivalen, dessen rasanten Aufstieg es zu bremsen galt. Der „China-Schock“ nach der Jahrtausendwende, als ganze Industriebranchen in den USA wegbrachen, hinterließ nachhaltige Spuren im kollektiven Gedächtnis der US-Bürger.

Vor gut 20 Jahren relativierte sogar der Jahrhundertökonom und Nobelpreisträger Paul Samuelson das 200 Jahre alte Freihandelstheorem. Es sei „unzutreffend“, dass der uneingeschränkte Freihandel unterm Strich „jedem überall nutzt“. Ein schnelles technologisches Aufholen Chinas könne in den USA durchaus zu Wohlfahrtsverlusten führen. Diese möglichen Verluste wollten die letzten drei US-Präsidenten durch eine Wiederentdeckung des Protektionismus verhindern. Allerdings machte bislang kein Präsident so klar und deutlich wie Donald Trump, wie wenig er von einem freien Welthandel hält.

US-Präsident Donald Trump: Hohe Zölle auf eine Reihe von Importen eingeführt. Foto: AP

Peking hat diesen weltwirtschaftlichen Kurswechsel der USA frühzeitig erkannt und knüpfte mit dem neomerkantilistischen Projekt „Neue Seidenstraße“ China ein weltweites Netz von Produktionsstandorten und Absatzmärkten – und schuf durch generöse Kredite ein Netz von Abhängigkeiten.

Es dauerte lange, bis die westlichen Industrieländer realisierten, wie stark China in den einstigen „Vorhöfen“ des Westens – Lateinamerika aus Sicht der USA, Afrika aus der Sicht Westeuropas – politischen Einfluss gewann. Zudem steht China inzwischen fest an der Seite Russlands und sichert sich so preisgünstige Energie und Rohstoffe.

Stagnierende Wirtschaft

Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Welt auf eine neue bipolare Wirtschaftsordnung zusteuert, in der der multilaterale Freihandel an Bedeutung verliert. Eine Folge: Im Jahr 2018 endete das goldene Jahrzehnt der deutschen Volkswirtschaft; seitdem trägt das exportorientierte Geschäftsmodell nicht mehr. In fünf der vergangenen sieben Jahre dämpfte der schrumpfende Außenbeitrag das Wirtschaftswachstum; die Gesamtwirtschaft stagniert seitdem faktisch.

Hinzu kamen eklatante Managementfehler in der deutschen Schlüsselbranche, der Autoindustrie. Bis zum Klimaabkommen von Paris im Jahr 2015 wurde die Elektromobilität nicht ernst genommen und Tesla-Mastermind Elon Musk als Technik-Nerd abgetan.

Der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche bezeichnete Batteriezellen abfällig als „Commodities“, und Chinas aufstrebende Autoindustrie wurde wegen ihres Know-how-Rückstands bei Verbrennungsmotoren belächelt. Heute ist Tesla der wertvollste Autokonzern der Welt und China der größte Markt für Elektro-Pkw. Unter den in China meistverkauften E-Autos befindet sich in den Top 20 kein Modell eines deutschen Herstellers.

Tesla-Fahrzeug: Der Autokonzern hat an der Börse eine extrem hohe Marktkapitalisierung. Foto: dpa
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Es stellt sich die Frage, welche Schlüsse die nächste Bundesregierung aus diesen Befunden ziehen sollte. Denn anders als den Regierungen der USA oder Chinas fehlen der deutschen Regierung die Möglichkeiten, eigene handelspolitische Interessen durchzusetzen. Für die Verhandlung von Handelsabkommen ist die EU zuständig – und die Ökonomien der übrigen 26 Mitgliedstaaten dieser Gemeinschaft sind weniger stark auf einen freien Welthandel angewiesen als die Deutschlands.

Allerdings ist Deutschland nach wie vor der Standort einer Vielzahl von hochflexiblen Unternehmen mit technisch hochwertigen Produkten. Was diese Unternehmen brauchen, ist politische Hilfestellung durch Planungssicherheit, Bürokratieabbau und ein attraktives Umfeld für private Investitionen. Dann und nur dann hat die deutsche Exportwirtschaft eine Chance, zu alter Stärke zurückzufinden. Denn „made in Germany“ gilt immer noch in weiten Teilen der Welt als Qualitätsmerkmal – noch!

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