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Der ChefökonomBei der Arbeitslosenversicherung droht eine Beitragserhöhung

Die steigende Arbeitslosigkeit lässt die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit abschmelzen. Dieses Jahr droht ein Milliardendefizit. Braucht die Behörde bald frisches Geld?Bert Rürup, Axel Schrinner 28.02.2025 - 10:39 Uhr
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Arbeitssuchende in Duisburg: Aktuell schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Foto: dpa

Der lange und beschäftigungsintensive Aufschwung hat in der vergangenen Dekade die Bundesagentur für Arbeit (BA) zu einer stillen Reserve der Bundesregierung gemacht. Nach dem Schock vom Frühjahr 2005, als in Deutschland kurzfristig mehr als fünf Millionen Menschen ohne Arbeit waren, war die Arbeitslosigkeit 14 Jahre lang nahezu kontinuierlich gesunken, auf saisonbereinigt bis zu 2,2 Millionen Arbeitslose im Frühjahr 2019.

So rasant, wie die Arbeitslosigkeit zurückging und die Beschäftigung anstieg, so rasant stiegen die Rücklagen der Bundesagentur. Zeitweise musste die Behörde sogar Millionenbeträge an Negativzinsen auf ihre milliardenschweren Reserven zahlen. Im letzten Jahr vor dem Pandemieausbruch, 2019, hortete die Bundesagentur nahezu 26 Milliarden Euro Beitragsgelder auf ihren Konten.

Was folgte, ist bekannt: Ausbruch der Coronapandemie, Lockdown für weite Teile der Wirtschaft, ein rasanter Anstieg der Kurzarbeit, oft mit null Arbeitsstunden – und so schmolzen die Rücklagen wie der sprichwörtliche Schnee in der Sonne.

In der Summe sollte die Pandemie die Arbeitslosenversicherung nahezu 50 Milliarden Euro kosten. Was nicht durch Rücklagen abgedeckt war, wurde letztlich vom Bund übernommen.

Zurück zur alten Stärke und Dynamik fand die deutsche Wirtschaft nicht mehr. Denn die Pandemie hatte gesamtwirtschaftliche Probleme der deutschen Volkswirtschaft überdeckt, die – wie man heute weiß – bereits 2018 begonnen hatten, sich abzuzeichnen.

Was zunächst wie eine Folge des Hitzesommers 2018 wirkte, entpuppte sich als eine hartnäckige Industrierezession, die weite Teile des verarbeitenden Gewerbes bis heute nicht überwunden hat. Mittlerweile vergeht kaum eine Woche ohne Meldungen über einen massiven Stellenabbau bei renommierten Großunternehmen – und dies nicht nur im Automobilsektor und bei dessen Zulieferern.

Deutliche höhe Arbeitslosenzahlen

Wenn man realisiert, dass die Industrieproduktion gegenwärtig etwa 18 Prozent geringer ist als im Jahr 2017, die Beschäftigtenzahl aber lediglich um 1,7 Prozent zurückgegangen ist, so muss man kein Prophet sein, um einen weiteren Stellenabbau in der Industrie vorherzusagen, sollte die Produktion nicht bald wieder kräftig anziehen.

Bereits seit dem Frühsommer 2022 registriert die Bundesagentur für Arbeit (BA) unter Herausrechnung von saisonalen Schwankungen Monat für Monat im Schnitt annähernd 20.000 zusätzliche Arbeitslose. Gemessen an den Tiefstständen des Frühjahrs 2019 zählte die BA im Januar 2025 saisonbereinigt zusätzliche 661.000 Arbeitslose – und die Frühindikatoren für den Arbeitsmarkt machen wenig Hoffnung auf Besserung.

Am Freitagmorgen vermeldete die Arbeitsagentur immerhin, dass die Arbeitslosigkeit die magische Marke von drei Millionen noch nicht überschritten hat. Das Handelsblatt Research Institute prognostiziert, dass in diesem Jahr sogar im Jahresdurchschnitt mehr als drei Millionen Menschen arbeitslos sein werden – zum ersten Mal seit 2010.

Arbeitsmarkt

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Die Nachfrage nach Arbeitskräften geht weiter zurück. Im Januar waren 632.000 freie Arbeitsstellen bei der Bundesagentur gemeldet, dies waren 66.000 weniger als vor einem Jahr. BA-Vorstandsvorsitzende Andrea Nahles räumte bei Verkündung der Januardaten ein: „Alles in allem ist es unter den derzeitigen Rahmenbedingungen für Arbeitslose schwierig, wieder eine neue Arbeitsstelle zu finden. Damit steigt auch die Gefahr, dass sich die Arbeitslosigkeit verfestigt.“

Geringere Beschäftigung und höhere Arbeitslosigkeit belasten den Haushalt der BA massiv. Zum einen fehlen Beitragseinnahmen, zum anderen steigen die Ausgaben für Arbeitslosengeld. Im Januar 2025 gab die BA nahezu 20 Prozent mehr für Arbeitslosengeld aus als im Vorjahresmonat, und die Ausgaben für Insolvenzgeld waren knapp zehn Prozent höher.

Zu optimistische Erwartungen

Bereits jetzt dürfte der Etat der Behörde, der lediglich ein aus Rücklagen zu deckendes Defizit von 1,3 Milliarden Euro für das laufende Jahr vorsieht, in Schieflage geraten sein. Denn der BA-Haushalt basiert auf den (zu) optimistischen Konjunkturerwartungen der Bundesregierung vom vergangenen Herbst. Damals hatte die Bundesregierung für 2025 ein reales Wirtschaftswachstum von gut einem Prozent sowie einen leichten Rückgang der Arbeitslosenquote prognostiziert.

Containerterminal im Hamburger Hafen: Die Konjunkturexperten des Handelsblatt Research Institute rechnen im laufenden Jahr mit einem dritten leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung in Folge. Foto: dpa

Auf Basis dieser Daten erwartet die BA, dass im laufenden Jahr die Zahl der Arbeitslosengeldempfänger um etwa fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgehen (!) wird und die Ausgaben für konjunkturelles Kurzarbeitergeld lediglich um rund 100 Millionen Euro steigen werden. Doch zwischenzeitlich erwarten die meisten Konjunkturforscher allenfalls noch ein Miniwachstum im laufenden Jahr. Die Konjunkturexperten des Handelsblatt Research Institute rechnen gar mit einem dritten leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung in Folge.

Erschwerend hinzu kommt nun, dass die Ampelregierung mit dem Haushaltsgesetz 2024 einen „Griff“ in die BA-Kasse beschlossen hatte. So muss diese Behörde seit Beginn dieses Jahres zur Entlastung des Bundeshaushalts die Kosten in Höhe von rund einer Milliarde Euro für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung und Rehabilitation von Bürgergeldempfängern finanzieren.

Bereits 2024 hatte die BA anstatt eines geplanten Überschusses von 2,1 Milliarden Euro ein Defizit von 600 Millionen ausgewiesen. Da sich die Rücklage der BA zum Jahreswechsel auf nur noch 3,2 Milliarden Euro belief, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Bund bereits in diesem Jahr mit kurzfristigen Liquiditätshilfen einspringen muss.

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Ohne eine rasche Trendwende zu mehr Wirtschaftswachstum und wieder steigender Beschäftigung ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung angehoben werden muss. Gegenwärtig beträgt dieser 2,6 Prozent vom Bruttolohn – 0,1 Prozentpunkte entsprechen etwa 1,5 Milliarden Euro.

Der nächste Bundesarbeitsminister ist um seine Aufgabe sicher nicht zu beneiden.

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