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Europa-KolumneEU-Zukunftskonferenz: Große Festreden, geringer Gestaltungswille

Die Defizite der EU treten offen zutage. Doch ausgerechnet die Bundesregierung, die einen „Aufbruch für Europa“ versprochen hat, scheut die aufkeimende Reformdebatte.Moritz Koch 10.05.2021 - 16:47 Uhr Artikel anhören

Der Autor: Jede Woche analysiert Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt-Büros in Brüssel, im Wechsel mit anderen Brüsseler Korrespondenten in der EU-Kolumne Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der Europäischen Union. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: koch@handelsblatt.com

Foto: Handelsblatt

Brüssel. Zum Schicksal der Europäischen Union gehört es, in Festreden hochgelobt und im Alltag kleingehalten zu werden. Gerade ist wieder der Moment für Festreden. Am Sonntag hat in Straßburg eine Konferenz begonnen, die die Zukunft Europas „in die Hände der Europäer legen“ soll.

Dass davon nur ein geringer Teil der EU-Bevölkerung Notiz genommen hat, umschreibt schon das Problem. Ganze 500 Zuschauer verfolgten die Internetübertragung der Auftaktveranstaltung. So viel zum Thema Aufbruchsstimmung. 

Doch wäre es falsch, aus dem geringen Interesse an der „Konferenz zur Zukunft Europas“ ein geringes Interesse der Europäer an der Zukunft der EU abzuleiten. Es zeigt sich vielmehr, dass die Europäer ein geringes Vertrauen in die Bereitschaft der Regierungen haben, die Ergebnisse der Konferenz ernst zu nehmen. 

Tatsächlich ist mit dem vor fast 20 Jahren gescheiterten Verfassungskonvent in den meisten Hauptstädten der Reformelan erschlafft. Auch die Bundesregierung zeichnet sich durch Passivität und Ideenarmut aus, obwohl ihr Koalitionsvertrag einen „neuen Aufbruch für Europa“ versprochen hat.

Bloß keine Unruhe schüren – nach dieser Maxime handelt Berlin. Mit der Konzeption des EU-Wiederaufbaufonds hat Deutschland das Nötigste getan, um Europa in der Pandemie zusammenzuhalten. Damit lässt die Regierung es bewenden. 

Sie ermutigt die Bürger zwar, sich an der Reformdiskussion zu beteiligen. Ihr eigenes Engagement beschränkt sich aber darauf, in Brüssel auf Risiken und Nebenwirkungen ambitionierter Zukunftskonzepte hinzuweisen. Das Drängen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat Berlin erfolgreich ignoriert.

Da wird es sich auch von einer Zukunftskonferenz nicht aus der Ruhe bringen lassen, zu der sich die Bürger über mehrere Monate auf einer „mehrsprachigen Onlineplattform“ zusammenfinden sollen. 

Schuldfragen werden nach Brüssel durchgestellt

Dabei treten die Defizite Europas offen zutage. Die „Sofagate“-Posse war weniger ein protokollarischer Fehltritt als der Kumulationspunkt ungeklärter Zuständigkeitsfragen. Auch der verpatzte Start der Impfkampagne lässt sich damit erklären, dass die Mitgliedstaaten der EU zwar die Verantwortung für die Impfstoffbeschaffung übertrugen, aber bei jeder Zwischenentscheidung auf einem Mitspracherecht beharrten. 

Europa ist ein Kompetenzknäuel, das den nationalen Regierungen die Gelegenheit bietet, Schuldfragen nach Brüssel durchzustellen. Darin besteht das grundsätzliche Dilemma der EU. Die Mitgliedstaaten wissen, dass Europa nur gemeinsam stark bleiben kann. Doch sie wollen die Zukunft der EU unter sich ausmachen. Eine Zukunftskonferenz, bei der die Bürger auf die verrückte Idee kommen könnten, zur Schaffung eines starken Europa eine handlungsfähigere EU vorzuschlagen, kann da nur stören.

Natürlich ist richtig: Hauruckreformen können in Anbetracht der fragilen Statik Europas mehr schaden als nützen. Mit Änderungen der EU-Verträge, die in einigen Mitgliedsländern Referenden erfordern, hat Europa schlechte Erfahrungen gesammelt. In der Außen- und Finanzpolitik vom Prinzip der Einstimmigkeit abzuweichen ist heikel, wenn man Europa zusammenhalten möchte. 

Aber es gibt genug Vorschläge, die ohne große Einsturzgefahr umsetzbar wären. Warum das EU-Parlament nicht mit mehr Initiativkompetenz ausstatten, damit auch die Volksvertreter – und nicht nur die Kommission – Gesetze vorschlagen können? Warum nicht die Rolle der Spitzenkandidaten bei EU-Wahlen stärken? Beides würde der EU mehr Demokratie einhauchen.

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Das vereinte Europa wurde nicht von Bedenkenträgern gegründet. Etwas weniger Kleinmütigkeit und etwas mehr Gestaltungswille stünden den heute Regierenden gut zu Gesicht.

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