Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Europa-Kolumne Nord Stream 2 könnte doch noch scheitern – an der EU

Der Widerstand der US-Regierung gegen das Pipeline-Projekt ist zwar gebrochen. Doch aus Brüssel droht dem deutsch-russischen Vorhaben noch erheblicher Ärger.
27.07.2021 - 08:48 Uhr 4 Kommentare
Europa-Kolumne: Die EU verliert Rückhalt der deutschen Wirtschaft
Europa-Kolumne

Jede Woche analysiert Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt-Büros in Brüssel, im Wechsel mit anderen Brüsseler Korrespondenten Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der EU. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: [email protected]

Brüssel Es ist nur noch eine Frage von Wochen, drei vielleicht oder vier, eher folgende Meldung so oder so ähnlich über die Ticker laufen wird: Drei Jahre nach Baubeginn ist die Ostseepipeline Nord Stream 2 vollendet. Zwei vollständige, parallel verlaufende Stränge werden dann am Meeresgrund liegen, komplett verschweißt, betriebsbereit.

Ob allerdings die Hoffnung der Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG und ihres Eigentümers, des russischen Staatskonzerns Gazprom, tatsächlich in Erfüllung geht und noch in diesem Jahr sibirisches Erdgas zur Anlandestation Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern strömt, ist noch längst nicht sicher. 

Zwar hat nach langem Streit mit der US-Regierung der deutsch-amerikanische Pipeline-Deal, der vergangene Woche besiegelt wurde, die Sanktionsgefahr aus Washington weitgehend gebannt. Doch das heißt nicht, dass nichts mehr schiefgehen könnte. Dem Projekt droht in den kommenden Monaten noch erheblicher Ärger, dieses Mal primär aus Brüssel. Denn die Betriebsgenehmigung des Projekts steht noch aus – und über diese darf nicht nach dem Gutdünken der deutschen Behörden entschieden werden, sie muss im Einklang mit europäischem Recht stehen.

Dazu hat sich die Bundesregierung auch in der gemeinsamen Erklärung mit den USA bekannt: „Deutschland betont, dass es sich in Bezug auf Nord Stream 2, soweit es unter deutsche rechtliche Zuständigkeit fällt, sowohl an den Wortlaut als auch den Geist des Dritten Binnenmarktpakets halten wird“, heißt es darin. 

Das Bemerkenswerte daran ist nicht nur, dass das Misstrauen der US-Regierung offenbar so groß ist, dass die Amerikaner die Deutschen dazu drängten, eine Selbstverständlichkeit wie die Einhaltung von Recht und Gesetz zu wiederholen. Bemerkenswert ist auch, dass die USA erkannt haben, was in der deutschen Debatte über die Pipeline gern verdrängt wird: Das europäische Recht stellt eine hohe Hürde für Nord Stream 2 dar. 

Ob Nord Stream 2 Europas Energiesicherheit dient, ist hochumstritten

Vor zwei Jahren hat die EU – gegen den Widerstand der Bundesregierung – die Gasmarktrichtlinie verschärft. Die Regelung legt strenge Kriterien für Pipelines fest, die nach Europa führen. Dazu zählt, dass der Eigentümer einer Gasleitung nicht gleichzeitig ihr Betreiber sein darf und die Preisgestaltung transparent sein muss. Gegen beides wehrt sich Gazprom. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Sicherheit der Energieversorgung bei der Zertifizierung berücksichtigt wird. Ob Nord Stream 2 Europas Energiesicherheit dient, ist jedoch hochumstritten.

Die Haltung der Bundesregierung zu Nord Stream 2 lässt sich mit Mario Draghi zusammenfassen: „Whatever it takes“. Berlin will das Projekt durchziehen, koste es, was es wolle. Nachdem diese Politik zu einen Beinahezerwürfnis mit den USA und einem gravierenden Vertrauensverlust in Osteuropa geführt hat, könnte als Nächstes eine Konfrontation mit der EU-Kommission bevorstehen.

Grafik

Sollten die deutschen Behörden den Röhrenbetrieb einfach durchwinken, wird die Brüsseler Behörde als Hüterin der europäischen Verträge keine andere Wahl haben, als einzuschreiten. Auch deshalb übrigens, weil die Kommission beweisen muss, dass sie sich in heiklen politischen Frage nicht nur mit den Rechtsstaatsuntergräbern in Polen und Ungarn anlegt, sondern dass europäisches Recht für alle gilt – auch für Deutschland. 

Die neue Bundesregierung wird die Frage beantworten müssen: Wann sind die politischen Kosten von Nord Stream 2 so hoch, dass die vermeintlichen ökonomischen Vorteile des Vorhabens sie nicht mehr aufwiegen können?

Die russische Führung weiß um die Gefahr aus Brüssel – und beugt vor. Moskau hat die Gaslieferungen an Europa gedrosselt, „um Deutschland und die Europäische Union unter Druck zu setzen“, wie der Brüsseler Energieexperte Alan Riley in einer Analyse schreibt.

Russland sollte mit seinen Brechstangen-Methoden vorsichtig sein 

Brisant, um nicht zu sagen: entlarvend, ist in diesem Zusammenhang ein Statement, das die für das Exportgeschäft zuständige Gazprom-Managerin Elena Burmistrova im Mai abgab: Gazprom werde „mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 in der Lage sein, den zusätzlichen Bedarf zu decken“, sagte sie – obwohl sich die Versorgungslage schon jetzt über die bestehenden, durch die Ukraine führenden Pipelines verbessern ließe. Daran lässt sich erkennen, dass es das Ziel der Russen ist, Nord Stream 2 zu einer raschen Zertifizierung zu verhelfen, indem sie die Europäer an ihre Abhängigkeit erinnern.

Letztlich könnte Moskau mit solchen Brechstangen-Methoden allerdings das genaue Gegenteil dessen erreichen, was es erreichen will. Denn je ungenierter Russland Gasexporte als Druckmittel einsetzt, desto stärker dürfte der Widerstand in Brüssel werden.

Mehr dazu: USA und Deutschland legen Pipelinestreit bei – Ukraine soll zum Exporteur von grünem Wasserstoff werden

Startseite
4 Kommentare zu "Europa-Kolumne: Nord Stream 2 könnte doch noch scheitern – an der EU"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Warum bieten wir Russland nicht an, in ihren Pipelines grünes Gas mit einzuspeisen? Ähnlich wie E5 und dann E10 Benzin könnte sich der grüne Anteil Schritt für Schritt erhöhen!
    Wäre das nicht eine zukunftsfähige, evolutionäre, kostengünstige und dauerhafte Lösung auch in Hinblick auf den Klimaschutz?

  • @Herr Oliver Berthy
    guter - vielleicht sogar entscheidender politischer Gedanke, den Sie lieber Herr Oliver Berthy äußern:
    WIR HANDELN MIT RUSSLAND
    bedeutet, wir sind im Gespräch mit Russland, wir sind Russland verbunden, wir kümmern uns um Russland und Russland kümmert sich um uns.

    Es müsste ein ausdrückliches Ziel der Grünen sein, dass wir mit Russland zusammenarbeiten, damit auch Umweltschutzgedanken "exportiert" werden können und zu größeren Lösungen führen. Ein Abschotten, Brüskieren Russlands verringert eine positive Gestaltung der dann gemeinsamen Ziele für einen Klimaschutz.

  • Der Wegfall von Nord Stream 2 würde schätzungsweise die EU 8 Milliarden Euro kosten.
    Eine Energieabhängigkeit von Russland sehe ich nicht, zumal es bislang auch ohne Nord Stream 2
    funktionierte.

    Ein Grund, der bislang nur rudimentär erwähnt wird, warum Nord Stream 2 vollendet werden sollte,
    ist die Auswirkung auf die Umwelt. Der Bau steht kurz vor der Vollendung, dass Projekt jetzt zu beenden, hätte nicht nur politische Auswirkungen, sondern Europa hätte eine unvollendete Baustelle vor der Tür. Das beseitigen der Pipeline hätte auch für Europa Konsequenzen, der Bau wurde bislang nicht ausschließlich von Rußland bezahlt, sondern auch von den deutschen Firmen Wintershall und Uniper, die OMV aus Österreich, die französische Engie sowie die niederländisch-britische Royal Dutch Shell sind mit jeweils 950 Millionen Euro dabei und finanzieren damit 50 Prozent der 9,5 Milliarden Euro teuren Pipeline. Nord Stream 2 abzubauen, hätte die Konsequenz, das mindestens die jetzigen Kosten nochmal anfallen würden. Die Kosten der folgenden Rechtsstreitigkeiten und Haftungen würden in den dreistelligen Millionen – Bereich gehen.
    Die politischen Auswirkung kommen hinzu.

    Von einem Druckmittel, welches den Russen in Zukunft zur Verfügung steht, kann man nicht reden. Erstmal ist der wirtschaftliche Faktor für Rußland zu hoch. Dazu kommen die Auswirkungen, die Rußland jetzt schon mit Europa hat, z.b. G7, und weitere Konsequenzen hätte; Rußland ist von den Einnahmen von Nord Stream 2 abhängiger als Europa.
    Der dritte Punkt ist, dass, gerade in jetzigen Zeiten, fossile Energien immer weniger den Energiebedarf abdecken werden; die Auswirkungen auf unsere Umwelt sind unübersehbar.
    Kein Wunder, dass jede Partei es zum Thema macht. Die glaubhafte Umsetzung bestimmter Parteien ist ein anderes Thema. Europa wäre nicht erpressbar, sondern würde seine Position verfestigen, politisch wie wirtschaftlich.

  • "Russland sollte mit seinen Brechstangen-Methoden vorsichtig sein "
    Russland liefert preisgünstiges Gas, damit kann Deutschland die Energiewende unterstützen.
    Wohler soll Strom kommen, wenn Kohle- und Atomkraftwerke abgeschaltet sind und die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht und alle e-Autos fahren müssen und alle Wärmepumpen Heizungen im Winter laufen????????
    Der EU sind die deutschen Interessen absolut wurscht - wie den USA, Polen oder anderen Ländern.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%