Expertenrat – Verena Bentele: Armut wegen zu hoher Stromrechnung dürfen wir als Gesellschaft nicht hinnehmen

Eine Mutter sitzt in Wuppertalbei Kerzenschein mit ihrer Tochter und ihrem Hund im Wohnzimmer. Der Familie wurde der Strom abgestellt.
Energiearmut ist ein Problem in Europa. Das hat auch die EU-Kommission erkannt. Sie möchte die Mitgliedsstaaten der Union dazu verpflichten, mehr Daten über Energiearmut im eigenen Land zu sammeln. So soll Energiearmut greifbar und definierbar werden. Eine offizielle Definition des Begriffs Energiearmut fehlt in Deutschland bislang. Doch das Bundeswirtschaftsministerium zeigt sich wenig kooperativ.
Die Haltung des Ministeriums ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich viele Bürger in Deutschland Energie nicht oder kaum leisten können. Rund sieben Millionen Haushalte in Deutschland müssen mehr als zehn Prozent ihres Einkommens für Strom, Gas und die Heizung ausgeben.
Zahlreiche Menschen haben Schulden bei ihren Energieversorgern, jedes Jahr wird rund 300.000 Haushalten der Strom wegen unbezahlter Rechnungen abgestellt. Millionen Haushalten drohen die Energieversorger Stromsperren an.
Die betroffenen Menschen sind mehrfach sozial benachteiligt: Sie verdienen oft sehr wenig oder haben nur kleine Renten. Häufig leben sie in energetisch nicht oder nur unzureichend modernisierten Wohnungen, so dass sie für eine warme Wohnung sehr viel mehr Energie verbrauchen als andere. Sie können sich oft keine energiesparenden Geräte leisten. Dafür müssen sie sehr viel für ihren Strom bezahlen –Deutschland hat die höchsten Strompreise in Europa.
Wie lebt eine Familie, der der Energieversorger den Strom abgestellt hat? Faktisch ist eine solche Wohnung nicht bewohnbar: die Familie kann nicht warm baden oder duschen, sie kann weder ihre Wäsche waschen noch Lebensmittel kühlen, keine warme Mahlzeiten zubereiten, die Kinder machen ihre Hausaufgaben bei Kerzenschein. Diesen Menschen fehlen die existentiellsten Lebensgrundlagen. Es ist ein Skandal, bei dem man sich in vormoderne Zeiten zurückversetzt fühlt.
Regelsatz muss reale Energiekosten abdecken
Wie könnte die Hilfe für die betroffenen Menschen aussehen? Lösungen liegen an der Schnittstelle von Energiepolitik, Sozialpolitik und Verbraucherpolitik.
Zunächst muss man feststellen, dass der Regelsatz in der Grundsicherung („Hartz IV“) die tatsächlichen Stromkosten der Bezieher dieser Leistung nicht abdeckt. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht 2014 festgestellt und angemahnt. Insofern muss der Stromanteil im Regelsatz dringend an die realen Ausgaben für Energie angepasst werden.
Gleiches gilt für das Wohngeld, das ebenfalls nicht die realen Energieausgaben seiner Bezieher finanziert. Beim Wohngeld müssen also die Kosten für Heizung, Warmwasser und Strom als wohngeldfähige Nebenkosten berücksichtigt werden.
Grundsicherungsempfängern und anderen einkommensschwachen Gruppen sollten Einmalbeihilfen gezahlt werden, damit sie sich stromsparende Elektro-Großgeräte leisten können.

Ganz wichtig ist natürlich, zu verhindern, dass sich Menschen bei ihren Energieversorgern verschulden und ihnen der Strom abgestellt wird, Stromsperren muss man unbedingt vermeiden. Möglich wäre dies, wenn Energieversorger, Schuldnerberatungsstellen und Sozialleistungsträger zusammenarbeiten und rasch Entschuldungsverfahren bei drohender Sperrung einleiten würden.
Es gibt viele Wege, um das Problem in den Griff zu bekommen. Man muss es aber zuerst anerkennen – und dann rasch dagegen tätig werden.






