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GeoeconomicsDie Regierung Merz und das Ende der transatlantischen Illusion

Trump und seine Vertrauten in den USA beschädigen nicht nur die Demokratie, sondern erklären auch proeuropäische Kräfte zum ideologischen Gegner. Der Kanzler ist sich dessen bewusst.Daniela Schwarzer 07.05.2025 - 16:51 Uhr Artikel anhören
Daniela Schwarzer ist Vorständin der Bertelsmann Stiftung und verantwortet dort die Programme und Projekte zur Zukunft Europas sowie Demokratie und Zusammenhalt. Foto: Klawe Rzeczy, Bertelsmann Stiftung

Der holprige Start der schwarz-roten Koalition sorgte nicht nur an den Finanzmärkten für große Nervosität. Viele Europäer blickten mit der bangen Frage nach Berlin: Wird Deutschland doch nicht wieder zum ersehnten Stabilitätsanker und pro-europäischen Kraftzentrum? Denn das wird erwartet und gebraucht angesichts von Russlands Krieg in und gegen Europa, angesichts weltpolitischer und weltwirtschaftlicher Umbrüche – und vor allem angesichts der Herausforderung im Weißen Haus.

Es ist eine Ironie der Geschichte: Friedrich Merz steht für eine Generation, für die die USA das Symbol für Freiheit und demokratischen Aufbruch waren. Merz ist ein seit Jahrzehnten transatlantisch geprägter und engagierter Christdemokrat. Im Vergleich zu seinen Amtsvorgängern verfügt er auch außerhalb seiner Abgeordnetentätigkeit über große transatlantische Erfahrungen und Netzwerke.

Und genau dieses transatlantische Verhältnis dürfte nun seine größte außenpolitische Herausforderung werden. Zumal sich seine Kanzlerschaft zeitlich fast vollständig mit der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps überschneiden dürfte.

Schon am Wahlabend zeigte Merz, dass er sich keinen Illusionen über die Trump-Administration hingibt. „Das Schicksal Europas ist ihnen weitgehend gleichgültig“, sagte der Wahlsieger in einer Talkshow. Das ist der nötige Realismus, während andere noch an der Illusion festhalten wollen, dass die USA zu ihrer alten Rolle zurückfinden und Europa sich wieder unter die Fittiche der stärksten Militärmacht und einer technologisch-digitalen Weltmacht flüchten kann, die uns von jenseits des Atlantiks versorgt hat.

Vor 80 Jahren haben die USA die Demokratie in Deutschland maßgeblich begründet und über Jahrzehnte hinweg begleitet. Sie unterstützten die Einigung Europas, die Wiedervereinigung Deutschlands und damit seine Rückkehr als starker Akteur auf der Weltbühne. Die demokratiefördernden Maßnahmen von USAID und das diplomatische Engagement der USA in Europas Nachbarschaft - von Südosteuropa bis zur Ukraine – haben bis in die jüngste Zeit die Transformation und europäische Integration vieler Staaten entscheidend unterstützt, um die sich Europa nun selbst kümmern muss.

Das Desinteresse der Amerikaner ist gewaltig

Das Desinteresse der Amerikaner ist für Europa ein größeres Problem als für jeden anderen Kontinent der Welt: Denn Europa hat von der bisherigen Weltordnung am meisten profitiert. Die unausweichliche Konsequenz daraus ist, dass Europa jetzt stärker werden muss. Merz‘ symbolträchtiger Doppelantrittsbesuch in Paris und Warschau gleich am ersten Tag im Amt zeigt: Der neue Bundeskanzler repariert die bilateralen Beziehungen zu Deutschlands wichtigsten Partnern und setzt auf eine engere europäische Zusammenarbeit. Und das wird aufmerksam verfolgt.

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Die Prioritäten sind klar: Stärkung der europäischen Verteidigung, der Wettbewerbsfähigkeit und ein großer Sprung nach vorn bei der Digitalisierung und der technologischen Innovationsfähigkeit. Die Europäer sind derzeit weder politisch noch militärisch in der Lage, eine kohärente Verteidigungsstrategie allein umzusetzen. Die EU importiert 80 Prozent ihrer digitalen Schlüsseltechnologien, vor allem aus den USA und China.

Der Kampf um die europäische Souveränität gewinnt zu Recht an Fahrt. Aber sie wird nicht über Nacht erklärt. Wettbewerbsfähigkeit, technologischer Vorsprung, Sicherheit und soziale Belastbarkeit müssen hart erarbeitet werden. Dies erfordert Entschlossenheit, Finanzierung und entschlossene Umsetzung.

Um dem zu begegnen, braucht Europa eine neue Geschichte, die es über sich erzählen kann, ohne Bezug auf den einstigen normativen Leuchtturm des politischen Westens, die USA. Die transatlantische Wertepartnerschaft liegt heute am Boden, auch wenn sie auf der europäischen Seite des Atlantiks mancherorts noch rhetorisch gepflegt wird.

Europa muss an seine eigene Identität denken

Trump und seine Vertrauten in den USA beschädigen nicht nur die Demokratie, sondern erklären auch proeuropäische Kräfte zum ideologischen Gegner. Auch das hat der Bundeskanzler klar erkannt und benannt: Die US-Regierung habe sich „ebenso drastisch und unverschämt wie Moskau“ in deutsche Politik eingemischt.

Der Transatlantiker Merz ist sich also des tiefgreifenden Wandels bewusst, der seine Kanzlerschaft prägen wird: Seit 1945 hat Westeuropa, seit 1989 auch Mittel- und Osteuropa seine eigene Identität nicht mehr ohne die USA gedacht. Das muss jetzt geschehen. Genau 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

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Und interessanterweise lässt sich dieser Wandel mit einem Wert verbinden, den einst die USA nach Europa gebracht haben: dem Vertrauen in die Kraft von Freiheit und Demokratie. Wenn dies gelingt, kann Europa nicht nur sich selbst schützen, sondern auch die Welt im Wandel aktiv mitgestalten.

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