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GeoeconomicsSchweigen über Waffenlieferungen hat vielleicht profanen Grund

Friedrich Merz hat die öffentliche Debatte über die Vor- und Nachteile der Lieferung bestimmter Waffensysteme an die Ukraine beendet. Fragt sich nur, warum.Carlo Masala 14.05.2025 - 14:23 Uhr Artikel anhören
Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Foto: Imago [M]

„Unter meiner Führung wird die Debatte um Waffenlieferungen, Kaliber, Waffensysteme und, und, und aus der Öffentlichkeit herausgenommen.“ Mit diesem Satz beendete der neu gewählte Bundeskanzler Friedrich Merz eine mittlerweile drei Jahre andauernde öffentliche und politische Debatte über die Vor- und Nachteile der Lieferung bestimmter Waffensysteme an die Ukraine. Begründet wurde dieses Diktum mit der strategischen Ambiguität: den Gegner im Unklaren darüber lassen, was man zu tun bereit ist und was nicht – auch, um damit das Überraschungsmomentum und die Initiative wieder zurückzuerlangen.

Und in der Tat könnte man argumentieren, dass die vergangenen drei Jahre deutscher militärischer Unterstützung der Ukraine dadurch gekennzeichnet waren, dass man zu wenig über Strategie und zu viel und vor allem zu lange über die Lieferung konkreter Waffensysteme debattiert hat. Dadurch war Russland bereits weit im Vorfeld darüber informiert, welche Systeme möglicherweise geliefert werden würden.

Allerdings darf man dabei auch nicht verschweigen, dass der damalige Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, also jener Friedrich Merz, der heute Bundeskanzler ist, die öffentliche Debatte über Waffensysteme entschieden einforderte, weil er Bundeskanzler Scholz Unklarheit vorwarf in der Frage, was denn Deutschland der Ukraine liefere.

Aber Schwamm drüber. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“, könnte man den ersten Bundeskanzler dieser Republik, Konrad Adenauer, an dieser Stelle als Kronzeugen für 180-Grad-Wendungen zitieren.

Der mystische Marschflugkörper Taurus

Die wichtigere Frage ist jedoch: Welchen Sinn hat strategische Ambiguität nach drei Jahren Krieg und unzähligen Waffenlieferungen noch? Und hier wird es kompliziert.

Denn eigentlich hat die Bundesrepublik Deutschland fast alles geliefert, was sie in den Bundeswehrbeständen hat und was die heimische Industrie produzieren kann. Bis auf zwei Ausnahmen: Eurofighter und den mittlerweile fast mystischen Marschflugkörper Taurus. Während man die Lieferung des Mehrzweckkampflugzeugs mit ziemlicher Sicherheit ausschließen kann (zu großer logistischer Aufwand), so muss beim Taurus die Frage erlaubt sein, wo durch Schweigen strategische Ambiguität erzeugt werden kann.

Marschflugkörper

Merz will der Ukraine den Taurus liefern – Moskau reagiert scharf

Denn wiederum war es der zum Bundeskanzler gewordene Oppositionsführer, der mehrfach betont hatte, dass er unter bestimmten Bedingungen nicht nur bereit, sondern entschlossen sei, den Marschflugkörper den Ukrainern zu liefern. Dessen Fraktion in der vergangenen Legislatur zwei Anträge in den Deutschen Bundestag einbrachte, die die alte Bundesregierung aufforderte, ebendieses Waffensystem zu liefern.

Worüber soll Russland also mit dem Schweigen über Waffensysteme im Unklaren gelassen werden? Dass die CDU-geführte Bundesregierung, entgegen den klaren Aussagen der CDU-Opposition, den Taurus nun doch nicht liefert. In der Tat wäre dies für Russland überraschend, allerdings positiv überraschend. Den Gegner positiv zu überraschen, ist aber eigentlich nicht das Ziel strategischer Ambiguität.

Die Gründe muss man in Berlin suchen

Wozu dient das plötzlich exekutiv verordnete Schweigen über Waffenlieferungen dann eigentlich? Vielleicht muss man die Gründe weniger in Moskau als in Berlin suchen.

Denn es ist schon interessant, dass der Bundeskanzler über Taurus redet, der Verteidigungsminister dies aber sichtlich irritiert zurückweist. Eigentlich kam Boris Pistorius in der Vergangenheit eher die Rolle des Treibers und dem Altkanzler die Rolle des Bremsers zu, aber die Rollen scheinen, zumindest in dieser Frage, nunmehr vertauscht zu sein.

Und auch die Aussage des SPD-Parteivorsitzenden und jetzigen Vizekanzlers, Lars Klingbeil, dass die Debatte über die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus doch von der Koalition geführt und gemeinsam beschlossen werden sollte, lässt den versierten Beobachter mit Langzeitgedächtnis schmunzelnd zurück. Denn in der Ampel war die Frage, welches Gerät und welches Kaliber und wie viel von allem geliefert wird, eine Entscheidung, die sich der Bundeskanzler exklusiv vorbehalten hatte. Und niemand, vor allem nicht die SPD, kam auf den Gedanken, dass darüber die Ampelparteien zu diskutieren und zu beschließen hätten.

Verwandte Themen Ukraine Russland Friedrich Merz SPD CDU Berlin

Führt man sich all dies vor Augen, könnte das Schweigen über Waffen gegenüber der Öffentlichkeit vielleicht gar nicht Ausdruck einer strategischen Ambiguität mit Blick auf Russland, sondern vielmehr der einfache Versuch sein, den wohl inhärenten Konflikt zwischen den Koalitionspartnern über die Lieferung des Taurus nicht vor der deutschen und internationalen Öffentlichkeit auszutragen. Wenn dem so ist, dann ist dieses Anliegen sehr lobenswert, man sollte es aber nicht mit hochtrabenden Begriffen aus der militärischen Strategie betiteln.

Mehr: Wie ändert sich die deutsche Außenpolitik, Herr Wadephul? Der neue Bundesaußenminister im Handelsblatt-Interview

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