Kolumne „Kreative Zerstörung“: Das Schisma der Künstlichen Intelligenz
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen.
Foto: Klawe RzeczyDas war ein rechtes Tragödienspiel des Königsmords, das beim Marktführer OpenAI übers Wochenende über die Bühne gegangen ist. Es vermag mit mittelalterlichem Federkiel geschrieben ebenso viel Faszination auszulösen wie herbeigerechnet durch die neuronale Netzwerke der derzeit führenden KI-Firma. Und es bleibt doch immer ein unvergleichliches Laienspiel der Unternehmensaufsicht.
Was ist bloß in den neuronalen Netzen der Mitglieder des OpenAI-Verwaltungsrats vor sich gegangen? Nicht viel Vernünftiges, denn sonst hätte der Prozess anders aussehen müssen. Ein Board soll kontrollieren, fordern, Sparringspartner sein.
Aber die vier haben mal eben die gesamte Firma mit ihrer beispiellosen Erfolgsgeschichte an den Rand des Abgrunds geschubst. Das ist nur die erste Betrachtungsebene. Die Geschehnisse am Wochenende sind auch der Kulminationspunkt für ein Drama, das sich seit Längerem angedeutet hat.
Was sich da vor unseren Augen entfaltet, ist mehr als ein Drama der Führungskontrolle. Es ist auch mehr als ein Beweis dafür, dass die Friktion zwischen Forschung und Profit, zwischen einem offenen und einem abgeschotteten Entwicklungsansatz, längst bis an den Rand des Kessels brodelte.
Es ist so etwas wie der Reformationsmoment der Künstlichen Intelligenz. Der Versuch einer Erneuerungsbewegung für ein Unternehmen und eine ganze Forschungs- und Entwicklungsrichtung, die zu den Ursprüngen zurückführen sollte. Langsamer, sicherer und fairer soll die Entwicklung der KI wieder werden. Das ist grundsätzlich ein bedenkenswerter Ansatz bei einer Technologie, die sich schon jetzt als eine der wirkmächtigsten aller Zeiten darstellt. Aber man muss schon wissen, wie das gehen kann – und wie nicht.
Altman war die gute Nachricht für KI-Utopisten
In diesem Reformationsprozess hat niemand die Thesen der Erneuerung an die Tür von OpenAI angeschlagen. Und Sam Altman ist auch ganz sicher kein Martin Luther der Sprachmodelle. Er ist vorgeprescht, wollte mehr und anders arbeiten und die Technologie konsequent weiterentwickeln.
Dafür hat er aus OpenAI ein Unternehmen gemacht und ihm eine gemeinnützige Organisation übergestülpt, viele Milliarden in die Kasse gebracht, einen Pakt mit Microsoft geschlossen und sich auch darangemacht, ein ganzes OpenAI-Ökosystem aufzubauen, zu dem nun auch ein GPT-Store nach dem Vorbild von Apple und bald vielleicht auch Chips und Hardware gehören.
Zum ersten Mal sichtbar wurde die Wende am 30. November 2022, als OpenAI ChatGPT auf den Markt brachte. Ein KI-Werkzeug, dessen Vorgängerversion noch als „zu gefährlich für eine Veröffentlichung“ beschrieben worden war, wurde nun ins Freie entlassen und sammelte in kürzester Zeit 100 Millionen Nutzer an.
Es war die am schnellsten wachsende Anwendung aller Zeiten, die inzwischen mehr als eine Milliarde Dollar einbringt. Ab diesem Moment musste jedem klar sein: Das ist nicht mehr die Arbeit einer Non-Profit-Organisation. Das ist Tech-Kapitalismus vom Feinsten.
Das war eine frohe Botschaft für die Utopisten der technischen Weltverbesserung, die Accelerationisten, die ohne Rücksicht Technologien so schnell wie möglich vorantreiben wollen, und für alle diejenigen, die Dollarzeichen sehen, wenn sie sich selbst im Bildschirm ihres Computers in die Augen schauen.
Und dann ist da die andere Fraktion, die der Alarmisten, der Bremserinnen und Warner. Sie glauben, Künstliche Intelligenz könne für die Menschheit zur Katastrophe werden. Langsamer, sicherer und weniger profitgetrieben solle man sie weiterentwickeln. Es hat etwas von einem Schisma, von einer religiösen Spaltung, wie diese beiden Gruppen sich inzwischen gegenüberstehen. Der Showdown bei OpenAI ist da nur die Spitze des Eisbergs. Künstliche Intelligenz, das ist die neue Religion unserer Zeit.
Wer ist der Verräter bei OpenAI?
Ein neues Sinnsystem unserer Gesellschaft, niedergelegt in Milliarden Zeilen von Code, in Hunderten von Ebenen immer unabhängiger arbeitender neuronaler Netzwerke, in 140 Zeichen langen Lehrsprüchen der Gurus aus dem Silicon Valley auf X, früher Twitter.
Bei den Utopisten erkennen wir Tendenzen der Anerkennung einer alles bestimmenden göttlichen Macht, die mehr weiß, als wir Menschen jemals wissen können. Getragen von dem größenwahnsinnigen Glaubenssatz: Der Mensch schuf die KI zu seinem Bilde, und er sah, dass sie gut war. Wer wollte diese Macht von nun an infrage stellen, anstatt ihr zu gehorchen und zu huldigen?
Wo ein Schisma blüht, da gibt es auch Verräter. Wer also ist nun der Judas in der Geschichte? Auch das variiert, je nach Perspektive. Auch du, mein Kumpel Sam, mag Mitgründer und Forschungschef Ilya Sutskever gesagt haben, als Altman das Unternehmen in den Modus des Turbo-Wachstums überführte.
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Sutskever wiederum hat den Aufstand des Verwaltungsrats offenbar angezettelt, getrieben von einer wachsenden Sorge um das „Alignment“, aus Angst davor, dass die von OpenAI geschaffenen Systeme irgendwann aus dem Ruder laufen und sich gegen die Menschen selbst wenden.
Sein Reue-Tweet („Ich bedauere zutiefst, dass ich mich an den Maßnahmen des Boards beteiligt habe“) war ein invertierter Judaskuss, der leider ins Leere ging, denn der Jesus der Künstlichen Intelligenz war im nächsten Reich bei Microsoft schon wieder auferstanden.
Mit dem dilettantischen Vorgehen des Boards ist ein letztes Stück Wettbewerb verschwunden im Graben zwischen den Apologeten und Apokalyptikern der KI. Für die nächsten Jahre werden sich die verfeindeten Lager gegenüberstehen, während in ihrer Mitte die realen Probleme einer Technologie unberührt wachsen. Die könnten mit intellektueller Konsequenz und menschlichem Verstand gelöst werden.