Kolumne „Out of the box“: Macht Künstliche Intelligenz verantwortungslos?

Frank Dopheide ist Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Human Unlimited, die sich auf das Thema „Purpose“ spezialisiert hat. Zuvor war er unter anderem Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group und Chairman von Grey Worldwide.
Düsseldorf. Haben Sie es auch bemerkt? Die Welt und die Dinge um uns herum werden immer schlauer. Toaster, Telefone und Ticketautomaten wissen heute mehr als wir. Selbst mein Fernseher gibt mir neuerdings Tipps, was ich mir ansehen sollte. Er kennt mich besser als ich mich selbst.
Intelligenz ist die Fähigkeit, abstrakt und vernünftig zu denken, um daraus zweckvolles Handeln abzuleiten. Das geht auch künstlich. Die KI ist heute ein fester Mitarbeiter bei Amazon und Netflix. Und der berühmte Chatbot ChatGPT schreibt bereits Artikel über sich selbst.
Wohin wir auch blicken, kleine Bots und große Maschinen machen uns das Leben leichter und nehmen uns Last von den Schultern. Sie kennen den Weg, alle Telefonnummern auswendig und sortieren Abertausende Fotos automatisch nach Datum, Inhalt oder Farbe. Berge nicht eingeklebter Urlaubsbilder sind Schnee von gestern.
Künstliche Intelligenz ist ein echter Segen. Vermutlich ist sie aber auch ein Grund dafür, dass unser Gehirn zehn Prozent kleiner ist als das unserer Vorvorfahren. Das Leben in freier Natur hat unser Gehirn offensichtlich stärker geformt und gefordert als Flipchart und Powerpoint.
KI macht es uns leicht und senkt den Energieverbrauch unseres Gehirns deutlich. Und das ist erst der Anfang. Die kleinen, klugen Helferlein drängeln tiefer und tiefer in jede Nische unseres Lebens – heimlich, bequem und leise.

Der Chatbot basiert auf einer Künstlichen Intelligenz (KI) und kann menschliche Sprache verstehen und Texte produzieren.
Immersiv, wie es die Techies nennen. Deine Skijacke weiß, was du letzten Winter getan hast. Deine Uhr ist auf Schritt und Tritt dabei und dokumentiert deine Fortschritte – auf den Meter genau. Convenience wird zur Killerapplikation. Wer kann dazu schon Nein sagen? Let’s make life easy. Mein Handy hat alle Telefonnummern im Kopf. Ich kenne keine mehr, nicht mal die meiner Frau.
Der Neurobiologe Gerald Hüther sieht unsere Spezies auf dem Weg zum Bandwurm. Ein entspanntes Leben in warmer Umgebung, ohne jede Anstrengung. Der Bandwurm braucht nicht einmal mehr Sex, um sich fortzupflanzen. Er ist einfach da und hat es warm. Leben im Energiesparmodus. Aus Nachdenken wird „forwarden“. Ich chatte, also bin ich.
Frank Dopheide: Wir verlieren das Verantwortungsgefühl für unser Handeln
In der Diskussion um die Künstliche Intelligenz gibt es eine Frage, die mir noch tiefere Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Wenn mein Navi den Weg anzeigt, der Kühlschrank den Joghurt bestellt und Alexa den nächsten Arzt heraussucht, wer hat dann die Entscheidung getroffen? Wenn mein Hirnstamm und meine Großhirnrinde bei diesem Prozess nicht eingeschaltet werden, fühle ich mich dann verantwortlich für das Ergebnis? Wir verlieren das Verantwortungsgefühl für unser Handeln. Und es kommt noch schlimmer.
Was im privaten Leben für mich gilt, trifft im Geschäftsleben abertausend Menschen. Die Welt der Wirtschaft hält schließlich eine Menge von Automatisierung und Outsourcing. Wann immer die kleinen Helfer zum Einsatz kommen, ist die Effizienzsteigerung vorprogrammiert. Wer braucht ein Callcenter, wenn der Chatbot eh alles besser weiß? Wir checken uns bei der Lufthansa selbst ein und an der Ikea-Kasse selbst aus. Vereinbaren die Arzttermine mit uns selbst und drücken in Waschräumen auf rote, gelbe, grüne Knöpfe, um unsere Zufriedenheit zu artikulieren.
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Aus Management by walking around ist das Management by mailing around geworden. Das erhöht die Effizienz spürbar und senkt das Verständnis dramatisch. Die Führungskräfte verlieren ihr Gespür für das Unternehmen, die Kunden und die Mitarbeiter. Damit verlieren sie ihre Entscheidungsfähigkeit.
Ein CEO ist mehr als der Chief Excel Officer. Das Unternehmen und die Arbeit mit allen Sinnen zu begreifen, ein Gespür zu entwickeln, die Verantwortung zu suchen und zu fühlen ist die wichtigste Fähigkeit für unternehmerischen Erfolg.






Reinhold Würth, einer der deutschen Vorzeigeunternehmer, hat daraus ein Ritual gemacht. Einmal jährlich fordert er seine Familie, mittlerweile die Enkelinnen und Enkel, zum Verkaufswettbewerb. Ab ins Auto, ab zum Kunden und Aufträge schreiben. Alle gegen Opa. Jede Schraube zählt. Er wurde noch nie besiegt. So macht Würth heute zwanzig Milliarden Euro Umsatz und sorgt dafür, dass das Gefühl für „den Laden“ nicht verloren geht.
KI kann alles berechnen, erfühlen kann sie nichts. Sie hat für alles eine Antwort und für nichts ein Gespür. Aber das macht den Unterschied.
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