Kolumne „Trump-Watch“: Wird Amerika zum Bösewicht?
Mein Bekannter ist sich nicht mehr sicher: War das mit der Staatsbürgerschaft die richtige Entscheidung? Vor Kurzem hat er seinen amerikanischen Pass erhalten, hat den Einbürgerungseid geschworen, der die Verpflichtung enthält, die Verfassung zu verteidigen, notfalls bewaffnet, „wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist“. Es war ein Tag der Freude und des Stolzes. „Von diesem Gefühl ist nichts mehr da“, sagt er.
Die USA, Amerika, sind keine Nation, die auf einer gemeinsamen Abstammung basiert, auf einer Sprache oder Religion. Sie sind das, was der französische Historiker Ernest Renan eine Willensnation nennt – eine bewusst gewollte Gemeinschaft mündiger Bürger zur Förderung der gemeinsamen Sache. Im Fall der USA ist diese das Versprechen von 1789, der Gerechtigkeit zu dienen, das allgemeine Wohl zu fördern „und das Glück der Freiheit“ zu bewahren.
Hehre Ziele, die den Nationalmythos der Vereinigten Staaten bilden, in Symbolen wie der Freiheitsstatue ihren Ausdruck finden und die Welt zum Positiven verändert haben. Es waren die USA, die den entscheidenden Anteil am Niederringen des Faschismus trugen, und es waren die USA, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entschieden, die vollständig besiegten Gegner Deutschland und Japan wieder aufzubauen und wieder aufzunehmen in den Kreis der Nationen.
Ist Amerika den eigenen Idealen immer gerecht geworden? Mitnichten, wie die Abwege von der Sklaverei bis hin zu Guantanamo zeigen. Aber die Ideale waren immer da. Und so wirkmächtig, dass die Ideen von 1789 bis heute als globale Richtschnur dienen.
Viele Amerikaner sind schockiert über die Trump-Regierung
Umso schockierter sind viele Amerikaner über das Vorgehen der Trump-Regierung. Die Streichungen der US-Entwicklungshilfe sorgen für Kopfschütteln, die Drohungen gegen Kanada für Unverständnis, die Fantasien über eine Besetzung Grönlands für Entsetzen. „Die mittel- bis langfristigen Folgen dieser Politik werden verheerend sein“, glaubt etwa New-York-University-Professor Scott Galloway. Wer groß und stark sei und freundlich, werde verehrt. Wer groß und stark sei und ein Bösewicht, gegen den würden sich die anderen verbünden: Was auf dem Schulhof gelte, gelte auch unter Staaten.
Was bleibt für kritische Bürger, außer Resignation? „Der Wille zur Tat“, sagt mein Bekannter. In den vergangenen Tagen ist er zum ersten Mal in seinem Leben auf eine Demonstration gegangen, gegen Trump und Musk. „So sieht Demokratie aus“, riefen die Teilnehmer vor dem Tesla-Store in San Francisco. Am Wochenende sperrte er zu.
Und von Arizona bis Wisconsin strömen plötzlich Abertausende zur „Bekämpft die Oligarchie“-Tour des 83-jährigen Senators Bernie Sanders, neuerdings unterstützt von der demokratischen Zukunftshoffnung: der 35-jährigen Alexandria Ocasio-Cortez. Dass sich wieder so viele für Politik interessieren, ist ein Etappensieg für die Opposition. Ob daraus eine Bewegung wird, die die Deutungshoheit über Amerikas Ideale zurückgewinnt, muss sich freilich erst noch zeigen.