1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kolumnen
  4. Kommentar: Keine konjunkturelle Schwäche, sondern eine strukturelle Krise

KommentarKeine konjunkturelle Schwäche, sondern eine strukturelle Krise

Die Substanz der deutschen Wirtschaft ist intakt. Dennoch sollten wir uns zum neuen Jahr die Lage nicht schöner reden, als sie ist, schreibt unser Kolumnist.Lars P. Feld 30.12.2025 - 10:14 Uhr Artikel anhören
Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Direktor des dort ansässigen Walter Eucken Instituts. Foto: Getty Images [M]

„Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“ – so oder so ähnlich hoffen die Bundesbürger mit Hermann Hesse auf einen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Neuanfang im Jahr 2026. Eine andere Variante dieser Hoffnung steckt in der Behauptung, die Stimmung in der deutschen Wirtschaft sei schlechter als die Lage. Ökonominnen und Ökonomen, die angesichts der Probleme Deutschlands dem Ruf der Ökonomie als „dismal sience“ – als trostlose Wissenschaft – alle Ehre machen, werden nicht selten mit der Bitte konfrontiert, doch etwas Positives in den wirtschaftlichen Ausblick einzupflegen.

Ist also alles nur eitel Gejammer? Mitnichten.

Gleichwohl zuerst etwas Positives: Die Substanz der deutschen Wirtschaft ist intakt. Trotz zunehmender Insolvenzzahlen ist die Eigenkapitalbasis der Unternehmen hierzulande solide. Dies gilt für den Mittelstand wie für große Unternehmen. Die Verschuldung der privaten Haushalte ist ebenfalls auf einem gesamtwirtschaftlich erträglichen Niveau. Die gesamtstaatliche Verschuldung liegt knapp über dem durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU festgelegten Wert von 60 Prozent. Kein anderes Land der G7 ist so niedrig verschuldet. Deutsche Unternehmen, Privathaushalte und der deutsche Staat haben somit erheblichen Spielraum, um die erforderlichen Maßnahmen im Strukturwandel zu treffen und ihre noch bestehende Innovationsstärke zu nutzen.

Hinzu kommen die relativ günstige Situation am Arbeitsmarkt, die Zinssenkungen der EZB und die schuldenfinanzierten Mehrausgaben der Bundesregierung. Die Arbeitslosenquote liegt mit gut sechs Prozent deutlich unter den 13 Prozent vom Januar 2005. Die Leitzinsen der EZB stehen bei zwei Prozent; zusammen mit einer Inflationsrate von gut zwei Prozent beträgt der Realzins gerade mal null Prozent.

Die höheren Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur setzen einen fiskalischen Impuls und führen so zu einem höheren Bruttoinlandsprodukt. Niedrigere Zinsen und höhere Ausgaben für die Infrastruktur helfen der Bauwirtschaft, höhere Verteidigungsausgaben der Industrie.

Die deutschen Schwächen

Dieses Bild ist jedoch getrübt. Deutschland befindet sich nicht in einer simplen konjunkturellen Schwächephase, sondern in einer schweren strukturellen Krise. Durch die geostrategischen Verwerfungen und die Zollpolitik der Regierung Trump bleiben die außenwirtschaftlichen Impulse aus. Unternehmen sehen sich in Deutschland immer noch im internationalen Vergleich zu hohen Arbeits- und Energiekosten, einer enorm hohen Regulierungsintensität und einer hohen Steuerbelastung gegenüber.

Die Bundesregierung hat dies erkannt und Reformen auf den Weg gebracht. Der Investitionsbooster – eine arithmetisch degressive Abschreibung von 30 Prozent für drei Jahre und die Senkung der Körperschaftsteuersätze ab dem vierten Jahr um einen Prozentpunkt pro Jahr für fünf Jahre – sowie die föderale Modernisierungsagenda weisen in die richtige Richtung.

Bei der Senkung der Energiekosten gehen der Bundesregierung jedoch nur erhöhte Subventionen (Industriestrompreis, Netzentgelte) leicht von der Hand; mehr Markt in der Energiewirtschaft fällt ihr schwer. Und die hohen Arbeitskosten werden bislang nicht angegangen; die dafür erforderliche Reform des Sozialstaats bleibt aus. Mit dem Rentenpaket geht die Bundesregierung sogar in die Gegenrichtung. Unternehmen müssen in absehbarer Zeit mit höheren Beitragssätzen rechnen, für die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung schon für das Jahr 2026.

Die Infrastrukturmilliarden versickern

Schließlich drohen die schuldenfinanzierten Mehrausgaben von Bund und Ländern ebenfalls zu versickern. Nach einschlägigen Studien von Bundesbank, Sachverständigenrat und Ifo-Institut wird allenfalls die Hälfte der zusätzlichen Mittel für die Infrastruktur ausgegeben.

Schaut man sich die einzelnen Posten im Sondervermögen Infrastruktur und Klimaschutz sowie die einzelnen Titel für die Verteidigung im Bundeshaushalt genauer an, kommt man auf noch geringere zusätzliche Ausgaben. Bund, Länder und Gemeinden stopfen vielmehr die durch eine schwächere Einnahmeentwicklung und eine hohe Dynamik der Transfer- und Konsumausgaben entstehenden Lücken.

So darf man schon auf die Idee kommen, dass der Ausblick nicht so rosig ist. Hinter den positiven Wachstumsprojektionen für 2026 steht keine Dynamik der privaten Investitionen. Die schwierige Wirtschaftslage kommt am Arbeitsmarkt an: Wer arbeitslos wird, findet aktuell nur schwer wieder einen Job. Transfergesellschaften und die mit Sozialplänen ermöglichte Frühverrentung kaschieren die tatsächliche Arbeitslosigkeit. Mittel- und langfristig muss von einem geringeren Wirtschaftswachstum ausgegangen werden.

Verwandte Themen
Deutschland
EZB
Bundesbank
Sachverständigenrat
Wirtschaftspolitik
Arbeitsmarkt

Hoffnung – sie stirbt bekanntlich zuletzt. Besser wäre ein dezidiertes Reformprogramm der Bundesregierung. Bisher tut sie zu wenig.

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt